Camera servieren altes Kraut in neuen Töpfen. Reicht das abseits des medialen Getöses für ein gutes Album? Man kennt das Problem mit den Straßenkapellen: Meist tauchen sie auf, wo man sie nicht gebrauchen kann, zudem spielen sie in 90 Prozent aller Fälle genau das, was man gerade nicht hören will. Und dann das: Ein Trio aus La Düsseldorf-Fans haut einem komplett unvorbereiteten Publikum zehnminütige Soundscapes um die Ohren und erklärt diese Vorgehensweise auch noch zum Geschäftsmodell. Spielen, spielen, spielen, überall und nirgends. U-Bahnhöfe, Fußgängerunterführungen, gerne auch mal unangemeldet auf After-Show-Partys: Camera gehen den harten Weg. Und trotzdem haben sie die Ergebnisse ihrer Improvisationen nun in ein Zeitdokument gegossen und präsentieren acht Ausschnitte ihres Repertoires, das schon die Neu!- und Harmonia-Veteranen Michael Rother und Dieter Moebius so flashte, dass sie Camera für Kollaborationen anheuerten. Zugegeben: Camera haben es sich verdient. Ihr mal unbedarfter, mal respektvoller Umgang mit der Geschichte Kosmischer Musik, allen voran ihren direkten Vorbildern Harmonia und La Düsseldorf, schafft Instrumentals im Spannungsfeld zwischen Struktur und freiem Fluss. Minimale harmonische Verschiebungen, pulsierende Drumpatterns und die konstante Suche nach im Wortsinn zeitlosen Momenten machen “Radiate!” zu einem tollen Album, das zwar die Sensation der “öffentlichen Band” ausklammert, gleichzeitig aber den Blick auf drei tolle Musiker freigibt, die sich blind verstehen.
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