Auf “Death Lust” waren es vor knapp mehr als einem Jahr noch die traurigen Höhenflüge und die tiefen Abstürze, auf die der Kanadier mithilfe von allem Möglichen klarzukommen versuchte: Kopfloser Post-Hardcore, verschütteter Noise und triumphaler Indiepop verbündeten sich da als Außenseiterbande gegen den trüben Alltag und rannten zusammen offene Türen ein – bei den alten und den neuen Kids und manchmal auch in verlassenen Häusern. Ein Quasi-Ein-Mann-Projekt aus der Provinz kann nicht unendlich viel erwarten, wenn es so unironisch in Abwehrhaltung geht, da ist es schon was, es aus dem Kinderzimmer über die örtliche Musikscheune auf internationale Bühnen zu schaffen, auch wenn die vergleichsweise kleiner sind. Wobei: Was heißt schon schaffen. Auf “Home Made Satan” legen Chastity ihre Prioritäten neu fest, die Schicksale von anderen Menschen stehen jetzt gleichauf mit Williams’ eigenen Gefühlskämpfen. “Its hard to stay fucked in your brain/ It’s not that hard to change”, schlägt er etwa in der The Cure-Hymne “The Girls I Know Don’t Think So” den weinerlichen Jungs in seiner Umgebung vor, um sich in “Dead Relatives” mit den religiösen Fanatikern seines Landes anzulegen: “There’s a special place in hell for the Christian Right/ Bury your parents tonight”. Er tut das nicht im lärmenden Punk, den er gerade noch fast ausschließlich auf Tour durch die USA und Europa mitnahm. Im Gegenteil: “Home Made Satan” bettet sein neuentdecktes Weltbewusstsein über weite Teile in zerfasernden Shoegaze-Emorock ein, der sich aber immer wieder Melodien einfängt. Am poppigsten klingt das in dann doch persönlichen Liebesliedern wie der Single “Sun Poisoning”, die für den Soundtrack zu “OC California” nur ein bisschen zu spät dran ist. Williams hat sich seinen Songs von Anfang an mit Leidenschaft gewidmet, jetzt klingen sie zur Abwechslung auch so: groß, melancholisch, fast sonnig. Mit einer guten Ladung Politur könnten Chastity die Revivalwelle bis in die besseren Festivalslots reiten, aber dafür bleiben Zeilen wie “I’m not sure how I’m expected to be social/ Not sure how to go about anything at all” zu wahr. Williams ist nicht zu kauzig, um sich unter Menschen zu wagen, er achtet nur gut auf sich selbst. Der seelischen Gesundheit könne es gefährlich werden, Abend für Abend in Pubs zu spielen, hat er kürzlich in einem Interview gesagt, und vielleicht muss auch “Home Made Satan” ihm bei aller neuen Ruhe auch deshalb immer noch als Schutzschild dienen, hinter dem er seine Krallen jetzt nur besser versteckt.
weitere Platten
Chastity
VÖ: 13.09.2024
Suffer Summer
VÖ: 14.01.2022
Death Lust
VÖ: 13.07.2018
Chains (EP)
VÖ: 13.10.2017