Hieß es zuerst, die neue Platte sei “weniger Metal, mehr Noiserock”, bekam man kurz darauf die Info, es solle “auf jeden Fall ruhiger und poppiger” sein. Dazu kamen verwirrende Ankündigungen einer Namensänderung von Frauenschwarm Chino Moreno, der angeblich von nun an “White Pony*1” genannt werden wolle, und endlose Änderungen des VÖ-Datums. Das alles ist jetzt Schnee von gestern und die Platte endlich in den Läden. Wer die News unserer letzten Ausgabe aufmerksam gelesen hat, dem ist vielleicht die größte Veränderung schon im Bandfoto aufgefallen: Chino scheint Probleme zu haben. Im Vergleich zu alten Fotos steht da ein aufgeschwemmter, ungesund blinzelnder Mensch, der aussieht, als ließe ihm nur Prozac die Realität ein wenig erträglicher werden. Und so klingt “White Pony”. Düster. Kaputt. Verwirrt. Traurig. Nur ganz wenige Bands schaffen es, mit ihrer Musik eine Atmosphäre zu erzeugen, die ein ganzes Album lang den Hörer gefangen nimmt und in tiefe Gefühlswallungen hineinzieht.
“White Pony” steht in einer Reihe mit ganz großen Platten der letzten 20 Jahre: “OK Computer” von Radiohead, “Aenima” von Tool und “Pornography” von The Cure. “Digital Bath” mit seiner Entladung im Refrain, der psychologisch höchst alarmierende, schier erdrückende Wutballen “Elite” und das sehr ruhige, aber keineswegs beruhigende “Teenager” sprechen da eine deutliche Sprache. Vollkommen umgeblasen aber wird man von “Passenger”, der ersten Kollaboration zweier Musikgrößen seit Jahren, die nicht im namentlich erwähnten Feature auf dem Backcover bereits ihre ganze Bedeutung (Verkaufsförderung!) preisgibt. “Passenger” ist ein wahres Duett. Zwei phantastische und hochcharismatische Sänger, Chino und Tool-Sangesgott Maynard, werfen sich die Bälle zu und erschaffen dabei eines der besten Stücke der letzten Jahre. Überhaupt, Tool: Wer bisher nicht verstanden hat, warum diese beiden Bands sich schätzen, warum sie eine gemeinsame US-Tour planen, der findet auf “White Pony” die Antwort.
Hier geht es nicht um Vordergrund. Nicht um Effekte. Nicht um Hits. Die Deftones sind nie Nu Metal gewesen, haben mit Korn musikalisch, textlich, emotional und von der Attitüde her nichts gemeinsam, sondern bemühen sich, ihre Emotionen zu kanalisieren. Da spielen Marketingaspekte glücklicherweise überhaupt keine Rolle. Sicherlich fordert “White Pony” die volle Aufmerksamkeit des Zuhörers – dafür belohnt es aber mit einer emotionalen Tiefe, die im Veröffentlichungswust der letzten Monate ihresgleichen sucht. Man spricht bei der dritten Platte einer Band gemeinhin von der Veröffentlichung, die über Gnade und Ungnade entscheidet. Der Moment, der dafür sorgt, dass eine Band entweder in Vergessenheit gerät oder endgültig zu Superstars wird. Die Deftones haben in dieser Hinsicht alles richtig gemacht und ein Album vorgelegt, an dem sich alle anderen Bands der nächsten Jahre erst mal die Zähne ausbeißen dürfen. Jetzt liegt es an euch: Kauft “White Pony” – oder geht mir aus den Augen.
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