Deichkind
Neues vom Dauerzustand
Text: Matthias Möde | Erschienen in: VISIONS Nr. 360
In den vergangenen Jahr(zehnt)en, seit den Songs “Remmidemmi” (2006) und “Leider geil” (2012), haben sich viele Bands an einer Kopie des Deichkind-Rezepts probiert. Bislang gelingt es aber niemand, Gaga-Sounds und -Raps mit smart getexteten Slogans so zu kombinieren, wie Deichkind es seit ihrem Album “Aufstand im Schlaraffenland” (2006) tun. Welchem Genre man die Band dabei zuordnet, ist schwer zu beurteilen, mittlerweile aber auch egal: Deichkind sind Deichkind.
Und die rauschen in ihrem eigenen Kosmos mit einem Schlauchboot über eine Menschenmenge und verteilen Freibier und Flugblätter. Auf denen stehen 2023 etwa Botschaften über die quälenden Widersprüche des (eigenen) Lebens – “Datenschutz-Setting bei Whatsapp einstellen” in “Merkste selber” – oder über das Ausblenden der Vernunft: “Und wenn das der Anfang vom Ende ist/ Fuck it, ich wende nicht” in “Geradeaus“. Darüber hinaus schreiben Deichkind auch Menschen, die “Klopapier von Gucci” benutzen, in “Auch im Bentley wird geweint” mehr oder minder glaubwürdig Gefühle zu. Auch die folgenden Zeilen aus dem Song “Realität” von Fatoni und Edgar Wasser könnten auf einem Flugblatt stehen: “Es wird immer schwieriger für Satiriker/ Die Realität ist schlimmer als jede Ironie, Dicker.”
In den vergangenen Jahren haben Deichkind vor Kampfdrohnen getanzt, Lars Eidinger abgedrehte Dinge machen lassen und alles, auch sich selbst, in Frage gestellt – doch was soll man machen, wenn die Realität schon so absurd ist wie ein Deichkind-Video? Weitermachen natürlich. Deichkind machen das auf “Neues vom Dauerzustand” größtenteils für ihre Generation und auf bekannte Art und Weise. Sie reimen Chiasamen auf Bionaden, bereiten Fettes Brot einen letzten Auftritt in “Mehr davon” und drehen die Gaga-Spirale weiter: “In der Natur” beginnt mit einem albernen Jodel-Refrain, die Strophen berichten zum fieberhaften Beat vom selbstgemachten Unwohlsein in der Natur, das Selbstgespräch “Kein Bock” ist mehr Komik als Song und in “Kids in meinem Alter” bricht die Band mitten im Song in Gelächter aus, macht aber weiter. Die Lacher klingen echt, Deichkind haben sie womöglich im Song gelassen, weil sie bei dem ganzen ernsthaften Quatsch auch keinen Unterschied mehr machen. Im Zweifel macht es ihr Schaffen nur authentischer. Dank der vielen, genialen Wirrungen, die Kryptik Joe, Porky und La Perla mit Autor Gereon Klug (Hans E. Platte) für “Neues vom Dauerzustand” ausbrüteten, verzeiht man ihnen auch einen mittelmäßigen Partytrack wie “Lecko mio”.
Das steckt drin: Fettes Brot, Fraktus, Kraftklub
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