Kann Musik zu harmonisch sein? Delaware aus Norwegen werfen diese Frage mit einem durch und durch schönen Album auf. Man will das anfangs nicht so recht glauben: Ein eingängiges Gitarrenpoplied jagt das nächste, eine Melodie verdrängt die eben gerade gehörte aus dem Gehörgang, und ständig will einem der Kopf sagen: “Das ist kalkuliert, das ist Durchschnitt, das kann es nicht sein.” Fast kitschig wirken sie, weil ihre hohe Kunst des Songschreibens gar keine Haken und Ösen hat. Wer aber nicht an der spiegelglatten Oberfläche zerschellt, der wird sein Glück auf einem Boden finden, der viel tiefer liegt, als man es anfangs für möglich hält, und eine Dramaturgie entdecken, die sich aus elf dann doch recht unterschiedlichen Stücken ergibt. Da sind die melancholischen Popnummern “Both Sides” und “Always”, die dramatischen “Lack Of” und “Last Night” (bestes Stück der Platte) sowie die herzerreißenden Balladen “Decision” und “As Teens”. Klar geht es um Liebe, Zwischenmenschlichkeit und all die anderen Sachen, die Charles Bronson nie in den Mund nahm. Andererseits: Wer ist schon so hart wie Charles Bronson? “Nothing can bring me away from you, my friend / Ill be with you until the end.” Wer an das Gute glauben will, wer vergessen kann, der ist hier richtig.
Jochen Schliemann 10
Auch wenn der erste Eindruck hier beileibe kein schlechter ist: Nach drei, vier Liedern nervt bei Delaware einfach alles. Das hohe Warmduscher-Stimmchen des Sängers, die allgegenwärtige Harmoniesucht, die glasklar strahlende Produktion, das Hymnische – eben der ganze, gnadenlos ausgebreitete Pathos-Pop. So ist das also, wenn man im Bestreben nach größtmöglicher Perfektion jeden noch so kleinsten Fehler weg korrigiert, und am Ende elf makellose Songs hat: Dann löst sich die sicherlich mühevoll zusammen gefügte Pop-Grandezza nach und nach in ihre Bestandteile auf, bis nur noch eine amorphe Masse übrig bleibt. Irgendwie klingt jeder Song auf “…And Everything Reminds Me” gleich reibungslos und spannungsarm, und am Ende ist das Album eine Art Musterbeispiel dafür, was passiert, wenn man Homogenität mit Beliebigkeit verwechselt. Wie man sich das vorstellen kann? Vielleicht, als hätten Muse einen verdammt schlechten Tag erwischt und Reamonn um produktionelle Hilfe gebeten. Als hätten Coldplay ihr subtiles Pop-Verständnis zugunsten von keimfreiem Radio-Rock über Bord geworfen, als würden Slut ihre Gitarren plötzlich nur noch mit Samthandschuhen anfassen. Nicht richtig beschissen also, aber seltsam leblos. So viel Schönheit hält man am Ende eben im Kopf nicht aus.
Alex Brandt 6
weitere Platten
Lost In The Beauty Of Innocence
VÖ: 10.02.2006
Crevice (EP)
VÖ: 03.03.2003