Deus
How To Replace It
Text: Ingo Scheel/Florian Schneider | Erschienen in: VISIONS Nr. 360
In zehn Jahren hat sich einiges angestaut bei den Belgiern, ihr Druckausgleich hat richtig Schmackes.
Große Gesten, die beherrschten Deus schon immer, ebenso existentialistisches Drama, alternativen Pomp zwischen Nihilismus und Wahnsinn – aber so durchgestylt wie auf “How To Replace It” klang das wohl noch nie. Dabei passen Methodik und Ergebnis auf den ersten Blick nicht recht zusammen. Im Gegensatz zu den ausufernden Sessions der Vergangenheit sind die Songs diesmal aus, O-Ton: “kurzen und explosiven Jams” entstanden. Es muss das aufwendige Finetuning gewesen sein, mit dem Deus die ersten Skizzen schließlich zu jenen Epen aufgeschichtet haben, die dieses achte Album durchziehen, das erste seit “Following Sea” (2012). Die dicken Pauken im Titelsong zum Auftakt passen perfekt, es ist ein programmatisches “Manege frei” für alles, was da kommt: den Manchester-Groove des weiträumigen “Must Have Been New“, den schwülen Kitsch von “1989”, der Bowie-Rückgriff “Pirates”, “Love Breaks Down” als Tom Waits-/Robbie Williams-Zwitter. Absurd, dass ausgerechnet Deus im Vier-Ohren-Test gelandet sind, gibt es doch eigentlich nur eine Meinung: Alle Daumen hoch für die kreative Chuzpe der Belgier, dem Pop in seiner reinsten Form Tür und Tor zu öffnen.
9/12 Ingo Scheel
Barocker Pomp statt Indierock – Deus klingen auf “How To Replace It” so alt wie sie sind.
Pauken, ein Drei-Viertel-Takt, ein Cembalo – “How To Replace It” ist keine drei Songs alt, ehe das Album den großen Anspruch seiner Schöpfer unterstreicht. Ist das noch Indierock oder eher dessen Midlife-Crisis, in der eine möglichst ungewöhnliche Instrumentierung den Porsche vor der Studiotür ersetzt? Allerdings hat man bei “How To Replace It” den Eindruck, dass trotzdem ein übermotorisierter Sportwagen vor der Tür steht. Dazu raunt Tom Barman, als würde er sich für den einzig legitimen Nachfolger von Mark Lanegan halten. Nur ist der Abgrund, der bei Lanegan immer mitschwang, bei Barman eher eine Badewanne mit goldenen Armaturen. Falls er nicht gleich wie eine englischsprachige Version von Paolo Conte klingt wie im fürchterlich missratenen Edelpop “1989”. Immerhin kann man Deus auch 2023 konstatieren, vieles auszuprobieren, etwa schamlos Molokos “Fun For Me” in “Simple Pleasures” zu adaptieren. Aber mit zunehmender Laufzeit wird diese Attitüde zum Selbstzweck, bevor man sie nur noch achselzuckend zur Kenntnis nimmt, weil dem Album jegliche Spannkraft abhandenkommt. Das französisch gesungene “Le Bleus Polaire” am Ende hätte es da gar nicht mehr gebraucht, um auch zukünftig einen Bogen um diese Band zu machen.
5/12 Florian Schneider
weitere Platten
Selected Songs 1994-2014
VÖ: 07.11.2014
Following Sea
VÖ: 15.06.2012
Keep You Close
VÖ: 16.09.2011
Vantage Point
VÖ: 18.04.2008
Pocket Revolution
VÖ: 12.09.2005
No More Loud Music
VÖ: 05.11.2001
The Ideal Crash
VÖ: 16.03.1999
In A Bar, Under The Sea
VÖ: 14.09.1996
Worst Case Scenario
VÖ: 16.09.1994