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    Die Nerven
    Die Nerven

    VÖ: 07.10.2022 | Label: Glitterhouse/Indigo
    Text:
    Platte des Monats
    Die Nerven - Die Nerven

    Auf dem Gipfel: Die rasante Entwicklung von Die Nerven erreicht ihren vorläufigen Höhepunkt. Spätestens nach ihrem fünften, nach der Gruppe benannten Album sollte man sie zu den wichtigsten Bands aus Deutschland zählen – gleich neben Blumfeld, Tocotronic und Ton Steine Scherben.

    “Du hast 15 Sekunden/ Biete mir was an” – Max Riegers Aufforderung in “15 Sekunden” ist eindeutig. Aber Die Nerven halten sich nicht daran. Stattdessen eröffnen die viereinhalb Minuten von “Europa” ein Album, das die bisherige Entwicklung der Band zum Meisterstück verdichtet. Daran hat auch die Umtriebigkeit der drei Bandmitglieder ihren Anteil. Max Riegers Arbeit als Produzent für Drangsal, Friends Of Gas oder Ilgen-Nur, Julian Knoths Alben mit dem Peter Muffin Trio, Kevin Kuhns unermüdlicher Einsatz in zig Bands – all das zahlt sich auf “Die Nerven” aus. Kuhns Lernkurve vom Arne Zank des Noiserock zum hochmusikalischen Drummer ist ebenso steil wie Riegers Expertise groß, den Sound von Die Nerven perfekt einzufangen, während Knoth inzwischen noch genauer weiß, wann er seinen Bass durchs Effektpedal jagen muss. Das alles kulminiert in einem Album ohne einen schlechten Song, eine Platte, deren Hitdichte einen atemlos macht. Endlich hat man den Eindruck, die drei arbeiten nicht mehr gegen-, sondern miteinander, was sich auch darin manifestiert, dass Rieger und Knoth sich den Gesang in einigen Songs teilen.

    “Europa” ist einer von ihnen und schon jetzt einer der Songs des Jahres. Unabhängig davon, ob der Text des Songs nun aktuell oder pandemiebedingt zwei Jahre alt ist – Europa als Idee bröckelt mindestens seit der menschenverachtend betitelten “Flüchtlingskrise” Mitte des vergangenen Jahrzehnts. Im Text artikuliert sich das Erstaunen darüber, dass es ernsthaft Leute gibt, die an dieser grandiosen Idee zweifeln, als auch die Angst davor, dass es damit bald zu Ende sein könnte. Direkt im Anschluss erteilen Die Nerven Nationalstaaten eine Absage. “Ich sterbe jeden Tag in Deutschland” reiht sich ein auf der Liste der großen Abarbeitungen an einem Land, das für die dunkelste Stunde der Menschheit verantwortlich ist. Auch textlich haben sich Die Nerven gestrafft. Tocotronic-artige Slogans wie “Ein Influencer weint sich in den Schlaf” sind ihnen heute ebenso wenig fremd wie die eigentümliche Poesie von “Der Erde gleich”.

    Musikalisch fährt “Die Nerven” groß auf: Das erwähnte “Der Erde gleich” punktet durch Tempowechsel, bei “Ein Influencer weint sich in den Schlaf” und “180º” kommen Streicher ins Spiel, “Ich sterbe jeden Tag in Deutschland” endet – recht plakativ – mit einem Feuerwerk, während Kuhn in seinen Fills klingt, als hätte er das aktuelle Kvelertak-Album in Dauerrotation gehört und wäre nicht Drummer einer Post-Punk-Band, die den Noise-Anteil in ihrer Musik deutlich reduziert hat. Das Bemerkenswerte an “Die Nerven” ist, dass das Album bei aller Zeitgeistigkeit, die sich auch in Zeilen niederschlägt wie “Wer reguliert die Sprache/ Wer kuratiert die Realität?” aus “Alles reguliert sich selbst”, an die umstürzlerische Kraft von Gitarre, Bass und Schlagzeug glaubt. Wer daran Zweifel hat, den belehrt “Die Nerven” eines Besseren.

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