Okay, das ist irgendwie politisch unkorrekt, aber sehnt ihr euch nicht auch manchmal zurück nach den einfachen Verhältnissen? Wie damals, als der Russe böse und der Ami super war? Und die Leute in der DDR arm dran und ein Pole Pabst? Stichwort: Polen. Seit wann bitteschön gibt es polnischen Tech Metal? Dürfen die das überhaupt? Sind die qualifiziert? Allem Anschein nach: ja. Denn das, was Disperse auf ihrem gerade mal zweiten Album demonstrieren, gewinnt jeden Virtuositäts-Battle mit links und platziert die Band im Handstreich auf allen dediziert nach Metal-Newcomern suchenden Hot-Listen recht weit oben. Ungemein vielschichtig produzierte, wahnwitzig detaillierte Musik, changierend zwischen mathematisch komplexen Riffs wie bei Cynic, der hymnischen Tiefe von Devin Townsend oder auch ausufernden Porcupine-Tree- und Pink-Floyd-Arrangements. Wenn es etwas zu bemängeln gibt, dann die nicht immer geschmackssichere Lead-Gitarre, die einem ein ums andere Mal Bilder vom Saitenderwisch auf Steilklippe im Kopf aufblitzen lässt. Das ist allerdings eine Sache des persönlichen Geschmacks. Manche Menschen halten nun mal auch noch 2013 Gitarrensolos mit gefühlten 280 bpm für wichtig. Abgesehen davon ist Disperse mit “Living Mirrors” ein technisch ausgefeiltes, reifes und vielfältiges Album gelungen. Wieder mal gilt: zwar nicht mehr, aber auch nicht weniger.