Das Geheimnis einer solchen Platte ist ihre Unbekümmertheit. Die Murphys fahren einen derartigen Pathos auf, dass man einfach nicht anders kann, als nur noch fett zu grinsen. Ihre Arbeiter-Romantik kennt keine Grenzen: Jeder Akkord, jede im Chor gegrölte Zeile, jeder Tropfen Schweiß auf den Planken der Seefahrerkneipen, der irischen Pubs und der Hooligan-Nächte, an die man hier denken muss, bolzen sich unironisch in deine Fresse und haben dabei auch noch ein gutes Gewissen. Keine Reflexionen, keine Innovationen, keine Meta-Ebene. Einfach nur volle Pulle Pogo, ein bis auf die letzten Falten zerblasener Dudelsack und Geschichten aus der Working Class zwischen Lebensfreude, Rausch, Melancholie, Schunkelei, Faustschwinger, Knast, Broken Home und langen Nächten. Auf “Blackout” haben die Murphys eine ausgewogene Mischung zwischen treibendem Tempo, akustischen Tönen, Balladen und gemächlichen Grölgesten vorgelegt, die durchweg Ohrwurmqualitäten hat. Hier gehen der Schweiß der Straße und die Griffigkeit des Melodypunk eine funktionierende Symbiose ein. Hier ein Melodieverständnis wie im sentimentalen Gitarrenpop-Filmabspann, dort die umfassende Gaststättenzertrümmerung. Macht Spaß wie ein Western mit Bud Spencer oder einmal wieder so richtig besoffen rumtoben und dann am Flussufer kotzen, lachen und heulen.
9/12 Oliver Uschmann
Kein Alkohol ist auch keine Lösung, oder wie war das noch gleich? Fest steht, dass man diese Platte ohne einen gewissen Promille-Pegel genauso wenig ertragen kann wie ein Karnevalskonzert der Toten Hosen oder auch die neue Sammlung fuselgetränkter Weisen der Real McKenzies im letzten Monat. Gut, die Dudelsäcke der Boston-Bande Dropkick Murphys nerven nicht ganz so wie bei den Schottenrock-Kanadiern, weil sie mehr in den Hintergrund gemischt und von der fetten Gröl-Punk-Walze an die Wand gedrückt werden. Aber so richtig nötig sind die 14 schäumenden Stimmungslieder auf “Blackout” auch trotz unbestritten prägnanter Hooks und einer druckvollen Produktion nicht. Purismus mag zwar ein Schritt in Richtung Intoleranz sein, doch keltische Folklore gemischt mit so genanntem Streetpunk hat einfach immer einen abgestandenen Beigeschmack. Die vergleichsweise streng traditionsverbundenen Pogues sind und bleiben in dieser Hinsicht das Limit. Wenn die Songs dem Transport ambitionierter Geschichten dienen wie beim feinen Opener “Walk Away” oder dem schönen akustischen “World Full Of Hate”, möchte man dem sympathischen Septett die hymnenhafte Bierseligkeit des Restprogramms auch gerne verzeihen, aber die Zeiten von Trinker-Selbstbeweihräucherung sollten nun wirklich langsam der Vergangenheit angehören. Oder aber die Plattenfirma liefert dem Rezensenten gleich ein Fass Guinness mit der CD frei Haus.
5/12 Dirk Siepe
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