In rund 45 Minuten entführen uns die Earthlings? in das Schattenseiten-Museum amerikanisch geprägter Undergroundmusik der letzten 20 Jahre. Ist man beim ersten Track “Visionary Messenger” noch umgeben von brennenden Bibeln in bester God Bullies-Tradition, jagt einem die dritte Nummer mit von Drogen geschwängerten Kirchenorgelsounds den blanken Butthole Surfers-Flashback von 666 Alpträumen direkt ins Kleinhirn. Selbst haltlos gesteuerte David-Lynch-Visionen wirken gegen “Piano Falls And Kills” wie eine Vorabendserie im Zweiten Deutschen Fernsehen. Mit ihrer abgefahrenen Version von “Johnny B. Goode” bauen sie ein kleines Reminiszenz-Denkmal für Martin Rev und Alan Vega vom New Yorker Noiseduo Suicide. Noch nie hat es eine Band in letzter Zeit vermocht, eine so triste und düstere Soundcollage des Rockabilly-Klassikers in Ton zu meißeln. Interessant ist vor allem wie die Band es schafft, von Track zu Track eine neue Identität anzunehmen. Spürt man bei “Rock Dove” noch einen unbeholfen rockenden Keyboard-Drive à la Deutsch-Amerikanische Freundschaft, ist man etwas weiter mit “Vegan Meth” im frühsiebziger Hawkwind-Drogenkeller gelandet. Allerdings, und hier liegt die feine Raffinesse, wohlfeil unterstützt mit einem entspannt tänzelnden Dancefloor-Groove, um am Ende dieser Nummer mit einem verstimmten Streichersatz in Gefilden der klassischen Avantgarde zu landen. Unterm Strich gelingt den Earthlings? das Experiment, zwischen unbegrenzten musikalischen Stilfacetten zu wechseln, ohne Charakter oder den berühmten roten Faden zu verlieren. Diese Band ist wahrlich verrückt.
9/12 Peter Hesse
Dass das Fragezeichen hinter dem Bandnamen nicht von ungefähr kommt, hat schon das Debüt gezeigt. Spacige Ausflüge gab es dort zur Genüge, nur fusionierten jene damals mit folkigen Anklängen und Rockstrukturen zu einem eigenwillig schönen Klangbild, das live wie auf Platte ganz hervorragend funktionierte. Nach diversen Umbesetzungen und ausgiebigen Tüfteleien auf der eigenen Soundranch hat sich die Truppe um Pete Stahl jetzt aber offensichtlich vollkommen im Weltraum verfahren. “Human Beans” fängt mit “Visionary Messenger” und “Ground Control” noch ganz hoffnungsvoll an, mit “Piano Falls And Kills” und “Lifeboat” folgen zwei nicht nachvollziehbare, von ziellosem Soundgewaber durchzogene Song-Exkursionen, und wenn dann bei “Rock Dove” befremdliches Elektronik-Geplucker einsetzt und sich in dem monoton hämmernden “Johnny B. Goode” noch steigert, wird’s fürchterlich. Der trauriger Tiefpunkt des Albums heißt “Vegan Meth”: schwere Düsterbeats, gekoppelt mit einer Böseböse-EBM-Stimme müssen nicht sein. Mit “…From ‘Beyond Space Valley’” gibt es zwar noch ein Lied, das meine Ohren versöhnt, aber von diesem Kaliber hätte es deutlich mehr gebraucht, um das Album in den grünen Bereich zu rücken. Der schleppend-düstere Abschluss “Big Hairy Spider” bestätigt da nur den Gesamteindruck: “Per Anhalter durch die Galaxis” in doof. Enttäuschend.
5/12