Einstürzende Neubauten
Rampen - apm: alien pop music
Vom Titel des ersten Songs sollten Deutschpunk-Kenner sich nicht irritieren lassen: Beim Auftaktstück “Wie lange noch” handelt es sich nicht etwa um eine KFC-Coverversion, es ist ein Einstürzende-Neubauten-Original, durch und durch. Auffällig ist dabei, wie cineastisch breit hier gleich zum Angriff geblasen wird. Der rhythmische Aufgalopp, die dramatische Saiten-Arbeit, bei der man an Leone und Morricone denkt, dazu Blixa Bargeld als stimmungsvoller Erzähler, der vom „Innern der Zwiebel“ fabuliert, vor dem Hintergrund eines sich unentwegt steigernden Playbacks, in dem metallisches Geschepper bis zum Kipppunkt in die Höhe gestapelt wird – wer die Nadel auf dieses Vinyl senkt und auf mauerstädtische Katharsis hofft, bekommt sie unmittelbar um die Ohren gehauen.
War “Alles in Allem” vor vier Jahren zur konzeptionell austarierten Berlin-Hommage geraten, ist diesmal Entgrenzung die Devise. Als Material dieser als klassisches Doppelalbum angelegten Songsammlung dienten ausschließlich bei Konzerten improvisierte Versatzstücke, die sogenannten Rampen, auf die die Band im Studio Texte und Texturen schichtete. Sie suchten nach neuen Formen, heißt es im Presseinfo, ein durchaus hehres Ansinnen für ein Ensemble, das seit 1980 unentwegt auch noch in die hinterste Ecke eines Kriechkellers gerobbt ist, um Ungewohnt-Ungewöhnliches ans Tageslicht zu befördern. Von Zitatkino zu sprechen, grenzte an Schrotteslästerung, dennoch ist jenem von kakophonischer Patina überzogenem Grusel, der sich beim Hören von “Rampen (apm: alien pop music)” einstellt, ein gewisser Vintage-Faktor kaum abzusprechen. Um es mit Blixa zu sagen: Besser isses! In “Everything Will Be Fine” hallt das Flüstern von “Seele brennt” und das geringschätzige Lachen des Anrufers aus “Merle (Die Elektrik)” wider. Der radikale Lärm von “Ist ist” scheppert als Wiedergänger jenes apokalyptischen Abenteuerspielplatzes, auf dem “Hospitalistische Kinder/Engel der Vernichtung” einst um Worte rangen.
Es ist kein Zufall, dass die Band zum ersten Mal seit vielen Jahren den krakeligen Schriftzug der Anfangstage verwendet: Auf der Suche nach dem unentdeckten Ton, auf der Reise zu den Millionen Jahre alten Trilobiten sind die Einstürzenden Neubauten vor allem immer wieder sich selbst begegnet. Der optische Bezug auf das „Weiße Album“ der Beatles mag konzeptionell charmant sein, ungleich wirkmächtiger als das pophistorische Zitat ist das Werk dahinter: ein krautiger Koloss von einem Album, ein Zeit aushebelnder Klassiker zwischen Schmerz und Schönheit.
Das steckt drin: Cabaret Voltaire, Can, Nick Cave
weitere Platten
Alles in Allem
VÖ: 15.05.2020
Greatest Hits
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Lament
VÖ: 07.11.2014
Strategien gegen Architektur IV
VÖ: 22.10.2010
Alles wieder offen
VÖ: 19.10.2007
Perpetuum Mobile
VÖ: 09.02.2004
Berlin Babylon (Soundtrack)
VÖ: 30.07.2001
Silence Is Sexy
VÖ: 03.04.2000
Ende Neu
VÖ: 23.07.1996
Tabula Rasa
VÖ: 01.02.1993
Haus der Lüge
VÖ: 04.09.1989
Fünf auf der nach oben offenen Richterskala
VÖ: 22.06.1987