Eine Stadt, grau, Flensburg vielleicht. Dunkle Wolken über Arbeitslosen, asphaltierte Tristesse bis zum Horizont. Auf einem Hausdach steht einer und schreit, schreit sich Wut und Verzweiflung aus dem Magen, dann singt eine Stimme aus der dunkelsten Ecke der Jugendherberge weiter. Auf dem Brückengeländer steht jemand und spricht. Es ist ganz ruhig. Bis plötzlich der nächste Wolkenkratzer einstürzt, der U-Bahn-Tunnel hinter dem davonrasenden Zug zusammenbricht, Staub und Steine wie Geschosse fliegen. Der Rauch hat sich noch nicht verzogen, als Magnolien die Trümmer durchbrechen und wie irre wachsen. “Sie werden alle gehen”, prophezeit die Stimme. Escapado sind zwei Jahre nach ihrem auf zwei Kleinstlabels veröffentlichten Debüt mit neuem Album zurück; das Grand Hotel hat vier Matratzen ins Wohnzimmer gelegt. Und so unwahrscheinlich die Labelwahl, so stilsicher der längst berüchtigte Escapado-Sound, der schon mit “Hinter den Spiegeln” den besseren Teil der Hardcore-Szene beeindruckte. In der Tradition von Yage bis Kurhaus und dabei unverkennbar eigen brechen sich Frontmann Helge und seine Band so emotional wie radikal den Weg frei, werfen einige der klügsten deutschsprachigen Texte seit langem an die Mauern (“Deine Stimme zerschneidet das letzte Vertrauen, deine Hand wird zur Faust…”), lassen die Gitarren Amok laufen. In immer ausgefeilteren Arrangements verbreiten cleaner Gesang und Geschrei im Wechsel Angst und Hoffnung, während in Atemnähe die Boxen vor Wucht zittern. Das beste zweite Hardcore-Album des Jahres.
weitere Platten
Montgomery Mundtot
VÖ: 22.10.2010
Split mit Bratze & Peters
VÖ: 22.10.2008
Hinter den Spiegeln
VÖ: 14.01.2005