Estrons
You Say Im Too Much, I Say Youre Not Enough
Text: Anton Stechonin
Es ist nicht nur die Außenwirkung, mit der die Band Reibereien und Wir-gegen-die-Denken provoziert – Estron bedeutet Außenseiter oder Fremder auf Walisisch –, sondern auch die bandinternen Strukturen wirken befremdlich angespannt: Auf sozialen Netzwerken lassen die vier Musiker keine Gelegenheit aus, ihre Hassliebe zueinander, ihre Differenzen und Meinungsverschiedenheiten zu betonen, bei Konzerten wirkt die Dynamik auf der Bühne wie eine Mischung aus gesunder Rivalität und Oasis in der Endphase. Heftige Auseinandersetzungen mit fliegenden Alltagsgegenständen bleiben bei Estrons allerdings aus: Die Energie setzte das Quartett über Jahre lieber in den Feinschliff am eigenen Sound um. Das Ergebnis lässt sich hören, denn auf “You Say I?m Too Much, I Say You?re Not Enough” trägt jeder einzelne Song den unverkennbaren Estrons-Stempel, der aus knarzendem Fuzz-Bass und Stakkato-Grooves aus der Rhythmussektion, schillernden Glam-Punk-Gitarren von Rhodri Daniels und dem angriffslustigen, rauen Gesang von Frontfrau Tali Källström besteht. Sämtliche Regler sind auf Anschlag gedreht, eine aggressive Grundtendenz unüberhörbar. Ob der Auslöser dafür die grundlegende Verschiedenheit der kreativen Köpfe Källström und Daniels ist – geschenkt. Denn einig sind sie sich zumindest bei ihrem grungigen Alternative-Punk, der zum wütenden Tanzen oder wenigstens zum Kopfnicken mit zornigem Gesichtsausdruck einlädt. Weitere Gründe für eine finstere Mine legt die Frontfrau gleich nach: Die Sängerin zieht ihre Inspiration aus den Beobachtungen ihrer Umwelt und ihrer selbst und hält auf dem Album in zehn Songs ein Plädoyer für ein positives Selbstbild und gegen alle äußeren Einflüsse, die eben jenes zerstören wollen. Angefangen beim krachenden Opener Lilac über die scheinbare Hilflosigkeit gegenüber der Macho-Kultur, bis zum Anti-Slut-Shaming- und Pro-sexuelle-Selbstbestimmung-Song Make A Man. Neben den Alternative-Punk-Krachern beweisen Estrons mit balladesken Songs wie “Strangers” auch ihre weniger wütende, dafür umso einfühlsamere Seite. Wenn man genau hinhört, ist das Quartett aus Wales eigentlich nicht gegen so viele Dinge: Individualität und freie Entfaltung stehen für sie an erster Stelle, aufdringliche Männer, die Frauen hinterherpfeifen stehen da allerdings im Weg. Das frustriert. “You Say I?m Too Much, I Say You?re Not Enough” ist der wilde Soundtrack gegen diesen Frust.