Fontaines D.C.
Romance
Wirkten die fünf Iren vom Sturm-und-Drang-Debüt “Dogrel” über das desillusionierte “A Hero’s Death” bis zur Heimweh-Platte “Skinty Fia” stets so, als würden sie den ganzen Tag in Vintage-Klamotten von Pub zu Pub schlendern, während sie James Joyce rezitieren, erfinden sie sich auf dem Karriere-Zenit ohne jeglichen Anlass neu – neben dem Kaleidoskop all der neuen Sounds vielleicht am offensivsten mit ihrer Optik. Fontaines D.C. tragen nun Leder-Kilts, Buffalo-Boots, Grillz und Neonfarben. Auch wenn das an Raver der späten 90er oder Anime-Charaktere erinnert, statt an die wildromantischen Poeten, die sie mit einem vollmundigen Titel wie “Romance” zu sein vorgeben, schaffen sie elf Bilder von Romantik, die sie in all ihren beflügelnden und schmerzhaften Facetten widerspiegeln.
Die erste falsche Fährte legen Fontaines D.C. direkt im Darkwave-Opener “Romance”, das mit cineastischem Bombast und James-Bond-Gitarren wie eine Mörderballade anmutet, die Grian Chatten wie Dave Gahan intoniert und zur erhabenen Pianomelodie den Tenor vorgibt: “Maybe romance is a place/ For me/ And you.” Zeit romantisch zu werden? Nicht ganz, denn Chatten verarbeitet in “Starbuster” eine heftige Panikattacke. Zunächst nur mit nervösen Streichern, dann mit krachenden HipHop-Drums und Rap-Gesang, bevor Chatten immer wieder um Atmen ringt, tief und schwer einatmet und an den Selbsttherapie-Rapper Slowthai erinnert, der zuletzt mit Ex-Produzent Dan Carey zusammengearbeitet hat. Carey hat die Band für ihren Paradigmenwechsel hinter sich gelassen und James Ford engagiert, der ihnen ein Breitwand-Klangbild fürs Multiplex-Kino ähnlich den Arctic Monkeys verpasst hat. Am besten zu hören in “Desire” oder dem wunderschönen “Sundowner”, das Chattens quälende Sehnsucht zu einer großen Shoegaze-inspirierten Ballade aufschwingt, die selbst Slowdive ehrfürchtig erblassen lässt. Die 90er sind generell ein großer Anknüpfungspunkt: In “Death Kink” haben Fontaines D.C. einen chaotischen Pixies-Moment, wenn Chatten mit einer manipulativen Beziehung hadert: “Shit shit shit/ Battered/ I caved in/ My promise/ Was shattered”. Auch das ängstliche “Here’s The Thing” seziert umgeben von Grunge-Crunch und zerklüfteten Riffs widersprüchliche Emotionen, die in Schmerz und Depression gipfeln.
Kein Wunder, dass Fontaines D.C. nochmal The Cure in “Bug” aufleben lassen. Immerhin textet niemand schöner als Robert Smith darüber, wie sehr Liebe schmerzen kann. Da versöhnt auch nicht der Closer “Favourite” mit seinem bittersüßen Jangle-Pop, wenn Chatten seinen inneren Morrissey kanalisiert, immer wieder um Euphorie und Melancholie kreist und letztlich doch die Schatten siegen. Allein daran, sich in dieser dialektischen Sensibilität dem Thema Romantik zu nähern, lässt sich ablesen, dass Fontaines D.C. selbst Idles meilenweit voraus sind, und sich die Post-Punk-Welt künftig an diesen neuen Parametern messen lassen muss. Schon jetzt hat Chatten sein Versprechen von 2019 gehalten: “My childhood was small, but I’m gonna be big.”
DNA:
Grian Chatten – “Chaos For The Fly” (2023, Partisan)
Zwar nicht so radikal, aber mindestens genauso überraschend und facettenreich: das Solodebüt von Grian Chatten. Der Sänger erfindet sich im Alleingang neu und klingt bis auf seinen dicken irischen Akzent so gar nicht nach dem abgeklärten Post-Punk von Fontaines D.C. Erste Indizien zur Generalüberholung seiner Band: harmonischer Gesang und elegante elektronische Tupfer.
Radiohead – “Kid A” (2000, Parlophone)
Statt an ihre beiden Erfolgsalben anzuknüpfen, werfen Radiohead alles über den Haufen, lassen die Gitarren hinter sich und experimentieren mit jazziger Elektronik und einer Opulenz, die bis heute ihresgleichen sucht. Selbst kommerziell gelingt der Putsch gegen sich selbst und legt den Grundstein für weitere Metamorphosen der Band. Auch für Fontaines D.C. sollte klar sein: Es gibt nach “Romance” kein Zurück.
U2 – “Achtung Baby” (1991, Island)
Der Vergleich wird Fontaines D.C. nicht unbedingt gefallen: 1991 schwenkt ähnlich mutig die wohl erfolgreichste irische Rockband in die entgegengesetzte Richtung. Bono & Co. sehen in ihren Lederklamotten nicht mehr aus wie Roots-Rocker, sondern wie eine Nu-Metal-Band. Auch der Sound wird düsterer, introspektiver, experimenteller – alles Schwingungen, die sich auch auf “Romance” finden lassen.
Zweitstimmen:
Florian Schneider: “Auch wenn “Romance” ganz anders klingt, ist den Iren mit ihrem vierten Album ein ähnlich großer Wurf wie mit “A Hero’s Death” gelungen. Beiläufig ist hier nichts, eher wohl austariert und zu Ende gedacht. Im Gegensatz zu Idles muss man sich um Fontaines D.C. künstlerisch keine Sorgen machen.”
Jan Schwarzkamp: “Diesmal verbergen sich die Songs der Fontaines D.C. hinter einem arschhässlichen Artwork und sind – gerade im Mittelteil – bemerkenswert beiläufig, klingen, wie hinter einem samtenen Vorhang gespielt. Es ist ein langer, öder Trip, bis mit “Favourite” der beste Song ganz am Ende kommt.”