Nicht nur mit Blick auf ein typisches Phänomen der zweiten Britpop-Welle Mitte der 00er Jahre ist eine wiederkehrende Kernfrage im Spannungsfeld zwischen Künstler und Repertoire: Was kann das zweite Album? Reicht die künstlerische Kraft wie so oft nur für ein starkes Debüt oder ist da womöglich mehr drin? Bereits mit der ersten Vorab-Single, dem atmosphärischen Geniestreich “Sad Cowboy”, hatte sich mehr als nur eine Tendenz abgezeichnet, die das komplette Album bestätigt. “On All Fours” braucht keine halbe Minute, um die Frage eindeutig zu beantworten: Goat Girl sind gekommen, um zu bleiben. Wie sich dieses leicht verhallte Gitarrenriff des Auftaktsongs “Pest From The West” nach vorn schiebt, in der Balance zwischen bedrohlich und betörend, kurz darauf Lottie Creams Stimme herabschwebt, später von fast sakralem Falsett untermalt, ist reine Magie. Mit “Badibab” trägt die Band ihren Sound dann zum ersten Mal um die Ecke. Auf charmant-ruppige Art sind die Breaks montiert, gesanglich ergibt sich eine leise Ahnung, wie es klingen würde, wären Fleetwood Mac in Brixton statt auf dem “Sunset Boulevard” durch die Clubs gezogen. “Never Stays The Same”, von Schlagzeugerin Rosy im Galopp gehalten und mit dezenten Blue Notes versetzt, klingt dagegen, als wäre der Neo-Soul à la Everything But The Girl von Mitte der 80er wiederauferstanden. Experimenteller hätten sie werden wollen, stilistisch breiter aufgestellt, sagen Goat Girl. Mit Produzent Dan Carey vertrauen sie bei dieser Mission, wie schon beim Debüt vor zwei Jahren, erneut auf den perfekten Partner. Dabei ist das stilistische Fundament gar nicht so extrem modifiziert, es finden sich vielmehr diverse Variationen ihrer Idee von Post-Punk. Das Ganze wird jedoch durch einiges an elektronischen Details erweitert. Inhaltlich sind es die universellen Themen, die auch schon die erste Platte durchzogen: das Leben in Zeiten des Brexits, Kommunikation und das Ausbleiben derselben und wie man es schafft, in diesem Wirrwarr, das sich Leben nennt, seelische Gesundheit zu bewahren und nicht nur die, so hat Gitarristin L.E.D. kürzlich eine Krebserkrankung überstanden. Dabei ist es der ganz eigene Zauber dieser Band, dass sich das alles einerseits nie nach schwerer Kost anhört, gleichzeitig jedoch auch der luftigste Track alles andere als leichtgewichtig daherkommt. Die Überschrift dieser Besprechung ist also unbedingt wörtlich zu nehmen: “On All Fours” ist eine Schönheit von einem Album.
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Below The Waste
VÖ: 07.06.2024