Natürlich erzählen Künstler regelmäßig, dass sie ihre Musik nicht hätten halten können und sie quasi schon aus therapeutischen Gründen veröffentlichen mussten, aber allzu oft folgt im selben Atemzug die kleine Selbsterhaltungsflunkerei: “Ob die Leute es hören, ist mir egal”. Mit solchem Getue hält Grace sich nicht auf. Zwei Jahre nach ihrem bislang letzten Soloalbum mit Bandunterstützung “Bought To Rot” und vier Jahre nach dem jüngsten Against-Me-Album “Shape Shift With Me” war eigentlich der Nachfolger mit der Hauptband geplant, als ihr die Pandemie einen Strich durch die Rechnung machte und Grace wie so viele andere Menschen in die Isolation schickte. “Stay Alive” ist nun ihr Lebenszeichen daraus. Über Jahre hinweg geschrieben und innerhalb von nur zwei Tagen mit Steve Albini auf Distanz und maskentragend aufgenommen, unterstreichen die 14 Songs, was zumindest Grace beim Musikmachen wirklich wichtig ist: dass sie jemand hört. Wo andere auf der Suche nach ein bisschen menschlicher Verbundenheit anzügliche Fotos auf Instagram posten oder auf Zoom die Mitbewohner-Katze vors eigene müde Gesicht halten, haut Grace über Nacht ein Album raus, das eigentlich mit viel mehr Vorlauf geplant war. Egal. Wer will, kann bis zur physischen Version im Dezember warten, aber grundsätzlich klingen alle Stücke wie immer bei Grace in der Akustikversion mindestens so kraftvoll und mitreißend wie mit voller Band und wochenlanger Studiozeit. So kommt etwa “Blood & Thunder” als folkig gezupftes Lagerfeuerlied ohne Lagerfeuer daher, während “So Long, Farewell, Auf Wiedersehen, Fuck Off” als flott verzerrtes Punkstück durchs Zimmer rennt. Kein Song auf “Stay Alive” ist länger als drei Minuten, die Hälfte braucht weniger als zwei, um den schmutzigen Finger direkt in die Wunde zu legen und ihn sanft reinzudrücken: “And when my body has been spent my soul here will remain/ Graffiti on a wall for all eyes to see/ This only feels like the death of everything”. Grace singt nicht aus der weisen Perspektive von einer, die alles besser weiß, sondern in einem trotzigen Akt des Mutmachens, weil der sie selbst in der nächsten Minute wieder verlassen kann und bis dahin hoffentlich jemand antwortet. Ob “Stay Alive” das beste oder politischste oder persönlichste oder frühe-Against-Me-mäßigste oder originellste Album ist, das sie je geschrieben hat, ist unwichtiger denn je, wenn es erst einmal ganz simpel ums Überleben geht.
weitere Platten
Give An Inch (EP)
VÖ: 06.09.2024
Hole In My Head
VÖ: 16.02.2024
At War With The Silverfish (EP)
VÖ: 22.09.2021
Bought To Rot
VÖ: 09.11.2018