Grian Chatten
Chaos For The Fly
Es war einer dieser magischen Radiomomente, von denen es heutzutage angesichts des steten Soundtracks unseres Lebens wohl nicht mehr allzu viele gibt. Umso magischer war dieser: Als eine der ersten Sender spielte BBC Radio 6 Music den Song “Fairlies” und man konnte nicht anders als innehalten. Diese Stimme, dieses Timbre, sollten das etwa Fontaines D.C. sein? Aufklärung folgte direkt im Anschluss, das war nicht etwa die stilistische Neuerfindung der Dubliner Post-Punks, vielmehr hatte Sänger Grian Chatten sich allein auf den Weg gemacht. Das Erstaunliche daran war und ist die fast beiläufige Grandezza seines Sounds, der – abgesehen vom unverwechselbaren Klang seiner Stimme – so gar nichts vom stoisch-nüchternen Gestus seiner Band hat. Stattdessen erkundet er einen gänzlich neuen Kosmos. Eine Klangwelt, in der 60s-Eleganz auf Dylan’schen Troubadour trifft, opulente Orchestrierung auf stille Einkehr. Allein das kleine Meisterwerk “Fairlies”: “Anger makes you weak and turns you sick, and gets you in the six feet nice and quick”, räsoniert Chatten zu einer Art Traveller-Song, mit ruhiger akustischer Strophe, aufwühlendem Refrain, eingestreutem Piano und getoppt von einem wuchtigen Finale.
Das war aus dem Stand dermaßen ausformuliert und reif, dass sich aus verkopfter Kritikersicht umgehend eine Frage auftat: Würde der Mann dieses Niveau auf Albumlänge halten? “Chaos For The Fly” gibt die Antwort: Ja, er kann. “The Score” zum Auftakt ist gleich noch so eine Perle. Sonnige Harmonien nach Simon-And-Garfunkel-Art, dazu ein klassischer Knackbass, die leisen Gedanken an “Moon Safari” schweben mit in den nächsten Song: “Last Time Every Time Forever” klingt wie das schwelgerische Titelthema eines Liebesfilms der Nouvelle Vague. “Bob’s Casino” setzt den Strandpromenaden und Küstenorten ein Denkmal, an denen dieses Album seinen Anfang nahm.
Von Billardkugeln, dem Klirren von Gläsern und alten Spielautomaten wird hier erzählt, besser könnte man es kaum beschreiben. Man möchte sich umgehend einen Drink an der Bar holen, mit hinaus ans Meer nehmen und beim Blinzeln ins Sonnenlicht seinen Gedanken nachhängen, den traurigen wie den mutmachenden. Faszinierend, wie Chatten das repetitive Moment seiner Band durch weiträumiges Erzählkino ersetzt, dabei gleich einen neuen Stil ausformuliert. So erweist sich “Chaos For The Fly” mitnichten als Fingerübung für die Bandpause, sondern als Beginn einer vielversprechenden Solo-Karriere, das zudem bereits jetzt für die Jahresbestenliste gesetzt ist.
Das steckt drin: Air, Nick Drake, Scott Walker