Das Interessante an den erfolgreichen Indie-Songwritern dieser Tage ist die Zeit, die sie sich nehmen. Lucy Dacus, Snail Mail, Kurt Vile, Jonathan Wilson, Adam Granduciel – alle sprengen sie mit ihren Liedern routiniert und regelmäßig die Fünf-Minuten-Grenze, als gebe es keinen Grund zur Eile, als sei diese Musik ein Gegenmittel zum überhitzten Tempo der Gegenwart. Und sie haben ja Recht: Je schneller die Welt da draußen dem Kollaps entgegenhechelt, desto größer ist das Bedürfnis nach auserzählten Geschichten, nach entspannten Strukturen und nach Stimmen, die den Überblick behalten. Auch Steve Gunn ist ein Großmeister dieser Szene der Entschleunigten, seit mehr als zehn Jahren ist er unterwegs, ein erster Durchbruch gelang ihm 2016: Das Album “Eyes On The Lines” mogelte sich überraschend in viele Bestenlisten. Überraschend deshalb, weil man die Platte zwar gehört und gemocht, sie sich aber nicht wirklich festgesetzt hatte, dafür waren die Songs etwas zu spröde. Was jedoch gut ankam, war die Geste, der ruhige Ton, die Besonnenheit des Vortrages. “The Unseen In Between” bietet nun noch mehr, es ist mit Abstand Gunns bestes Album, weil es ihm gelungen ist, deutlich mehr Spannung aufzubauen. Keines dieser Lieder plätschert dahin, immer gibt es eine dramatische Zwischenebene – “The Unseen In Between” eben. Geschrieben hat Gunn die Songs, als sein Vater schwer krank war und recht bald starb. Es kam zu Momenten wie im Film, der Sohn kehrte noch einmal zu Daddy zurück, im Angesicht des Todes ergab sich die Chance, die Beziehung noch einmal neu zu ordnen, Luft an alte Konflikte zu lassen – und die beiden haben diese Gelegenheit genutzt. Es kam zu langen Gesprächen über Verletzungen und Hoffnungen, über Fehlentscheidungen und biografische Knackpunkte. Gunn hörte zu, weil er wusste: Dies sind die letzten Erzählungen, der Tod rückt näher. Entstanden sind Songs wie “Stonehurst Cowboy”, der von der Jugend des Vaters erzählt und absolut zeitlos klingt: Jimmy Webb hätte ihn schreiben können oder Bob Dylan, das große Vorbild von Gunn. Jedoch klingt “The Unseen In Between” eben nicht wie eines von vielen Songwriter-Alben auf der Fährte des großen Dylan. Weil Gunn dringend etwas loswerden will, entsteht ein spürbarer Drang, der in vielen Momenten so klingt, als hätten Arcade Fire in Bestform ein akustisches Album aufgenommen – und als stoße beim fantastischen “Paranoid” auch noch Van Morrison in der Form der Zeit um “Astral Weeks” hinzu.