Heaven Shall Burn
Of Truth And Sacrifice
Text: Sebastian Berlich
Säßen die Thüringer heute einfach bequem an der Spitze der Generation Metalcore, es wäre ihnen wohl niemand böse. “Wanderer” war zuletzt sicher kein schlechtes, aber ein routiniertes Album, wie es Bands eben aufnehmen, wenn der Stil zunehmend gefestigt ist, die Standardwerke aufgenommen sind und es nun an die Verwaltung geht. Dazu hätte dann auch ein Doppelalbum als maßlose Leistungsschau, erzwungenes Re-Modeling oder Superlativ für die Akten gepasst. All das trifft auf “Of Truth And Sacrifice” nicht zu: Statt sich von Grund auf neu zu erfinden, befragen Heaven Shall Burn die einzelnen Bestandteile ihres Sounds, widmen ihnen ausladende Stücke und beobachten, was sie taugen, wenn sie aus ihren üblichen Positionen gelöst werden. Souverän, wenngleich ambitioniert agiert die Band dort, wo sie ihr Handwerk auf eine breite Palette an Metal-Stilen anwendet: “Eradicate” verknüpft Thrash Metal und Hardcore für den Pit, “Truther” verdichtet diese Prämisse noch, “What War Means” befeuert Bolt Thrower-Death-Metal mit Tremolo-Picking und “Children Of A Lesser God” bauscht die Göteborg-Trademarks so weit auf, wie es die Etikette erlaubt. Bereits diese Songs beweisen einen Gestaltungswillen, der sich in einer reichhaltigen Produktion zeigt und zugleich Experimente begünstigt. Was die Chor-gestärkte Single “My Heart And The Ocean” und die brachiale NDH-Reminiszenz “Übermacht” andeuten, treibt an anderer Stelle wilde Blüten. In “La Résistance” gießt die Band ein Metal-Potpourri in vor Schweiß triefende Club-Sounds, “The Sorrows Of Victory” beginnt in Prog-informiertem Goth-Rock und kontert Blastbeats mit unnachgiebigen Melodien, während “Expatriate” über acht Minuten zwischen pathetischen Streichern, sphärischem Pluckern und giftigem Spoken-Word-Vortrag wandelt, ohne auf eine Seite zu kippen. Diese Dramaturgie im Kleinen ist bezeichnend für “Of Truth And Sacrifice” in Gänze, das seine Grandezza nie dem schnellen Breakdown oder dem lockenden Hit opfert. Gerade auf Albumlänge finden Heaven Shall Burn damit zu einer Qualität, die weder sie noch ihre unmittelbaren Kollegen bislang oft erreicht haben: Die Summe ist mehr als ihre Teile. Zwar gibt es auch verhältnismäßig geradlinige Songs, selbst die stehen aber in größeren Zusammenhängen, die wiederum vor allem in der zweiten Hälfte immer weitere Kreise ziehen. Am Ende ist man komplett geschlaucht, aber genau solche Alben muss sich moderner Metal heute zutrauen, will er nicht zur Dienstleistung verkümmern.
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