Zwei Möhren? Die gibt es nur im Bund oder als Kilo – nicht bei Heisskalt, Dekonstruktion führt zu ihrer freisten Platte. Völlig unerwartet veröffentlicht das Post-Hardcore-Trio sein drittes Album in Eigenregie und spaltet damit die Fans. Der Erfolgsvorgänger “Vom Wissen und Wollen” kratzte einiges frei, nun liegen die empfindlichen Nervenenden für jeden sichtbar offen und ermöglichen Heisskalt eine schonungslose Frischzellenkur für den eigenen Sound. Songs wie “Wiederhaben” stolpern direkt in ein poppiges Melodieverständnis, das sich an den rauen Gitarren und trotzigen Texten die Knie wundschürft, und “Tapas und Merlot” straft all jene Lügen, die behaupten, Heisskalt wäre die Gabe des bildhaften Textens abhandengekommen. Wie viel Kraft in dem neu gewonnenen Raum liegt, den die Band sich plötzlich im eigenen Sound erlaubt, zeigt der Titeltrack “Idylle”: Ein pulsierendes Schlagzeug, der Beat überzogen vom Achtelbass, bereitet die schlichte Bühne für den textgewaltigen Gesang, der seine Intensität aus der durch eine Gitarre zart aufgebrochenen Monotonie zieht. Es entsteht ein faszinierender Hybrid, als hätte der bereits bekannte Heisskalt-Sound nachträglich die Hamburger Schule besucht. Auf die Spitze treibt diese Entwicklung das folgende “Fest” mit seinen schrägen Gitarren und der plötzlich hervorbrechenden Wut, die alt und neu vereint. Heisskalt sind der trügerischen Idylle der Komfortzone entkommen, und die frische, wenn auch noch nicht ganz klare Luft tut ihnen hörbar gut.
Juliane Kehr 8/12
Liebe Heisskaltis, hier ein gut gemeinter Rat: Man kann seine Kummerkasten-Kleinkunst auch exklusiv für sich behalten. Eure Beschwerden habt ihr fleißig niedergeschrieben, aufgestapelt, unnötigerweise sogar noch mit Reimen und Noten versehen. Das ging schon in Ordnung. Das hatte etwas Poetisches im Privaten. Das hatte Stil. Wie ein Eintrag ins Tagebuch, neben den man noch einen Dino-Sticker pappt: Es sollte möglich sein/ Lass uns unmöglich bleiben. Kann man viele Jahreszeiten später aus der Kiste ziehen und konstatieren: Haha, was war ich damals nur für ein Pseudo. Euer Fehler lag einzig im Glauben, die ganze Zettelwirtschaft statt auf den Dachboden zum Tonstudio bringen zu müssen. Dabei habt ihr den bereits zwei Mal begangen, und immer brach uns der Schweiß aus wegen der verhallten Post-Punk-Nichtigkeiten und der vorhersehbaren Ausbrüche, gefolgt vom kalten Entzug mit all seinen Unannehmlichkeiten wie einem angeschlagenen Urteilsvermögen gegenüber Kokolores. Wenn Heisskalt sich bei diesem und jenem überschätzen, wie gut müssen demgegenüber Kaffkönig sein? Mann, tat das weh! Inzwischen sind wir aber genesen vom Befall durch “Vom Wissen und Wollen”, inzwischen schlägt der Indikator wieder fehlerlos aus, wenn beim dritten Anlauf die Musik zwar okay ist, aber wegen der Worte wieder an Wert verliert. Noch ein Rat aus dem Lesebuch der einfach verständlichen Wahrheiten: Schlau klingen ist nicht gleich schlau sein. Keine Sorge, der ist genauso gratis wie “Idylle”, aber nicht so umsonst.
Martin Burger 3/12
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