Iron And Wine
Kiss Each Other Clean
Text: Markus Hockenbrink
Comics sind nur was für Kinder, und Popmusik ist die Domäne der Jugend. Wer erwiesenen Quatsch wie diesen heute noch heißspornig attackiert, gehört fast sicher zur kulturellen Toscana-Fraktion und tätschelt Iron And Wine aus den falschen Gründen. Klar sieht der Typ aus wie Robert E. Lee und entwirft seine Folk-Art-Cover höchstpersönlich auf der heimischen Ranch. Für den Folklore-Flohmarkt eignet sich speziell “Kiss Each Other Clean” trotzdem nicht, denn an Beams musikalischem Horizont spielt sich weit mehr ab als die üblichen Kettensträflinge in der Sonne. Sein Talent, noch die alltäglichste Story in ein sakral umwehtes Huckleberry-Finn-Outtake zu verwandeln, gehört auch nicht in den Ledereinband des Authentischen, sondern auf den musikalischen Wochenmarkt. Vielleicht sogar mit einem Parental-Advisory-Sticker. Nonsens und Flüche und siebenminütige Songs mit Jazz-DNA sind nämlich normalerweise nicht die Regel beim Majorlabeldebüt (daheim erscheint die Platte erstmals bei Warner), und gemütlich ist bei Iron And Wine eigentlich nur die Stimme. Die legt sich auf dieser LP bevorzugt über getragene Geschichten mit Faible fürs Fatale, deren offene Poren mit dezenten Instrumentierungs-Schnörkeln aufgefüllt werden. Oft genug geht es dabei um romantisch überhöhte Erinnerungen, die sich wie in “Tree By The River” in verantwortungslosem Detail verlieren und dem Dasein eine emotionale Präsenz verleihen, die es im echten Leben kaum je hat. Die dazugehörige Musik ist auf “Kiss Each Other Clean” prachtvoll wie eine Hochzeitswoche und geht bis an die Grenzen dessen, was fragiler Songwriter-Rock so an Ausstattung verträgt. Selbst die Mörderballaden bekommen Chöre wie Federkissen. Zum Beispiel “Rabbit Will Run”, die Iron-And-Wine-Version des typisch amerikanischen War-halt-so-Konflikts, wie ihn Cash, Cave und Springsteen auch regelmäßig besingen. Ob Beam den Mörder oder den Flüchtling spielt, bleibt im Verborgenen – die Flöte/E-Gitarre-Kombination sorgt schon für genug Drama. Insgesamt ist das Album mal wieder eine ausgesprochen literarische Angelegenheit geworden, die wie nebenbei die erzählerischen Möglichkeiten von Popmusik in Erinnerung ruft. Ihre Schönheit ist dabei allgegenwärtig, bleibt aber wie die Bougainvillea-Blüte im Armenviertel eher nutzloses Nebenprodukt als fotogenes Ornament. Das Haus auf dem Cover brennt ziemlich unmissverständlich, und der Neujahrsvorsatz bleibt: Hardcore-Bands, bitte mal Iron And Wine covern!
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