Jamie Lenman
The Atheist
Text: Julia Köhler / Christian Steinbrink
Pathos und Gefühl da, wo einst aufgeschürfte Ellbogen waren: Jamie Lenman ganz zahm – steht ihm auch gut.
Vier Alben lang stand der Brite mit dem ikonischen Schnurrbart-Frisur-Mix für Stilbrüche und wilde Eskalationen, auf “The Atheist” wird er zum Geschichtenerzähler. Dafür schreibt er ein paar opulente Streicher auf die Gästeliste (“Hospital Tree”), und auch der Stone Temple Pilots-Vibe von “Talk Hard” ist auf den ersten Blick ungewöhnlich. Eins steht deswegen schon nach drei Songs fest: “The Atheist” ist mit Abstand das theatralischste Werk in Lenmans Diskografie. Dass sich der Engländer mit dieser Platte sowohl vor Queen als auch vor Pete Yorn verneigen möchte, fasst die Eckpfeiler des Sounds ziemlich treffend zusammen: Während man zu “Lena Dont Leave Me” problemlos die “Black Parade”-Gedächtnisschminke aus dem Schrank holen und auftragen kann, ist die Klimax im Storytelling von “This Town Will Never Let Us Go” beste Grundvoraussetzung für einen wohligen Schauer. Ein bisschen gnadenlose Offenheit im Singer/Songwriter-Gewand hier, ein paar dramatische Arrangements dort – eins schafft Lenman in diesem ungewohnten Terrain aber glücklicherweise trotzdem: Emotionen zu transportieren. Wer Lenman dafür auch nicht lieben kann, hat ihn im Moshpit einfach nicht verdient.
8/12 Julia Köhler
Jamie Lenman drängt es auf die großen Bühnen und er geht die dafür nötigen musikalischen Kompromisse ein.
Zweifellos ist Lenman ein Bühnenkasper erster Güte, ein hervorragender Entertainer mit Witz und Verstand, der das Herz dank Punkrock-Vergangenheit an der richtigen Stelle trägt und sich mittlerweile auch auf zarte Töne versteht. All das spiegelt sich auch in den fein geschriebenen Songs seines fünften Albums wider, denen es an klarer Botschaft und eingängigen Melodien nie mangelt. Anders gesagt: Lenman hat sich dazu entschieden, sich mit aller Macht an ein möglichst breites Publikum heranzuschmeißen. Sicherlich ist er der passende Typ dafür, seine Musik macht das auf Albumlänge aber fad. “Talk Hard” wird so zu einer idealtypischen Single einer der mittelprächtigen Weezer-Phasen, und “Lena Dont Leave Me” kann vor Schmalz kaum noch laufen. Die Brüche und Schrullen, die Lenmans Werk in der Vergangenheit kennzeichneten, wurden dagegen weggebügelt. Man kann dem Briten zugestehen, dass er seinen Weg kon-sequent verfolgt und die dafür nötigen Schritte richtig setzt. Was er hier anstellt, wird vielen Pop-Gemütern gefallen. Bei anderen, die sich von Musik gerne fordern lassen, wird “The Atheist” aber an ebenjener verdammten Gefälligkeitscheitern.
5/12 Christian Steinbrink
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