Kettcar
Der süße Duft der Widersprüchlichkeit (Wir vs. Ich)
Text: Dennis Drögemüller
Die fünf neuen Songs seien keine Überbleibsel; umso mehr durfte man hoffen, dass Kettcar für ihren Indierock nochmal jenen Punk-Grimm wiederentdecken, der auf ihrem dritten Album “Sylt” (2008) die düsteren Texte unterstrichen hatte. Die Realität aber ist mit “Natürlich für alle” ein indiepoppiger Dancefloor-Track, den es so gut geschmiert bei den Hamburgern noch nicht gab. Objektiv betrachtet scheppert es in der Hälfte der Songs von “Der süße Duft ” auch mal leicht, subjektiv bleibt das Gefühl, dass Kettcar und softer Pop zunehmend zusammenwachsen. Das lässt den kritischen Texten manchmal eine seltsame Biedermeier-Gefühligkeit angedeihen – auch wegen des veränderten Blickwinkels: Statt um den Rechtsruck der Gesellschaft geht es um das Individuum im Kapitalismus, das zwischen neuem Iphone, Bio-Supermarkt, Selbstoptimierung und Anti-Nazi-Konzert nach einem “richtigen Leben im Falschen” sucht. Die Digitalisierungsverlierer-Hymne “Palo Alto” aber klingt zu versöhnlich für den im Text angedeuteten Aufstand, “Notiz an mich selbst” kann seine Selbstzweifel nicht in Aufbruch übersetzen – der düstere Unterton aus den Sprechpassagen beider Songs ergreift folgerichtig nie Besitz von der Musik. Am mitreißendsten versammelt noch “Scheine in den Graben” seine vielen Gastsänger selbstironisch im Charity-Single-Stil hinter Kritik am moralischen Ablasshandel Wohltätigkeit. Insgesamt aber verlässt sich “Der süße Duft ” zu sehr auf die richtigen Fragen, während Kettcar sich musikalisch in ihrer Nische einrichten. Diese Band wollte schon mal mehr.
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