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    Kettcar
    Gute Laune ungerecht verteilt

    VÖ: 05.04.2024 | Label: Grand Hotel Van Cleef/Indigo
    Text: | Erschienen in: VISIONS Nr. 373
    Schönheit
    Kettcar - Gute Laune ungerecht verteilt

    Viele Gedanken zu schwierigen Zeiten. Laut und unbequem, wenn es nötig ist. Dinge in Frage stellen, wenn die Ambivalenz der Dinge danach verlangt.

    Kurz nachdem Kettcar 2001 ihre Reise begonnen hatten, erschütterte 9/11 die Welt. Das Ereignis bedeutete das Ende der Sorglosigkeit, und es war gut, mit Kettcar eine Band an der Seite zu haben, die es ehrlich mit einem meinte. Sorgen, ja. Pläne, ja. Vergangenheit und Zukunft, beides auch ja. Dazu aber auch eine Gegenwart, mit der man sich beschäftigen muss, bevor sie einem flöten geht.

    “Gute Laune ungerecht verteilt” (es tut weh, das Komma, das da doch eigentlich hingehört, nicht zu schreiben) ist das sechste Album, die Pausen zwischen den Platten werden länger, nach “Ich vs. Wir” vergingen sieben Jahre. Seit 2017 ist unendlich viel passiert – aber eben auch zu wenig. Der Tag, an dem sich in Deutschland ein aktiver Profifußballer outet, ist immer noch nicht gekommen. Dafür: Corona, Kriege, Trump zum zweiten, die AfD in Thüringen laut Umfragen bei über 30 Prozent. Und wir alle mittendrin. Müde und orientierungslos. Kettcar werden gebraucht, deshalb sind Kettcar wieder da. Gleich zu Beginn gibt es eine Warnung von Marcus Wiebusch, es sei “Auch für mich 6. Stunde”. Daher bitte keine Phrasen, keine Forderungen, lass uns lieber zusammenrücken und gute Musik hören. Die besitzt bei “München” viel Druck, Wiebusch bietet Sprechgesang über Alltagsrassismus, aber weniger an HipHop angelehnt als an Nada Surfs “Popular”. “Doug & Florence” feiert das Logistik- und Pflegepersonal, bei “Rügen” haben sich Kettcar von der Erzählmethode von Die Höchste Eisenbahn beeinflussen lassen, es geht um die Politik von Beziehungen, „da ist so viel Freude, aber kein, kein Spaß“. “Kanye in Bayreuth” behandelt zu unbequemem Electro-Rock ein Thema, bei dem sich jeder, der Kunst liebt, in ewige Widersprüche verstrickt: Was darf/will man noch rezipieren, wenn Künstler (es sind ja fast immer Männer) sich als Arschlöcher entpuppen? Und, Kettcar-konkret, was passierte am 2. September 2018 in Tel Aviv, als die Götterdämmerung des Antisemiten Wagner im Radio lief – und die Leute eben nicht zwischen Künstler und Werk trennten: „Böse Menschen kennen eben doch Arien.“

    Kettcar negieren die einfachen Gedanken. Die Band macht es sich nicht leicht, sie beleuchtet die vielen Seiten, häufig sind es mehr als nur zwei. Die große Kompetenz von Kettcar ist es, dieses Abwägen in Songs zu packen, die zusammenführen, die eine Gemeinschaft formen. Wobei diese Gemeinschaft aufgefordert wird, Dinge immer wieder neu zu denken, dabei aber nie zu vergessen, das Herz an der richtigen Stelle zu tragen.

    Das steckt drin: Die Höchste Eisenbahn, Olli Schulz, Nada Surf

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