Kim Deal
Nobody Loves You More
Wie bei Beth Gibbons und “Lives Outgrown” im Mai sowie Kim Gordon, die mit “The Collective” im März ebenfalls eine der Platten des Jahres veröffentlicht hat, sind es Themen aus dem letzten Lebensdrittel, die Deal umtreiben. “Are You Mine?” etwa beschäftigt sich mit der Demenz ihrer Mutter. Der Song ist zwar schon mehr als zehn Jahre alt und war mit “Wish I Was” auf der B-Seite bereits 2013 als Single erhältlich, abgehakt hat Deal das Thema aber noch nicht. Zuzusehen, wie eine Person, die einem so nahesteht wie die eigene Mutter, langsam verschwindet, ist auch ein Jahrzehnt später nicht verarbeitet.
Bis es allerdings dazu kommt, spricht sich Deal mit dem Opener und Titelsong selbst Mut zu. Zugleich bestimmt “Nobody Loves You More” die Fallhöhe dieser Platte. “I don’t know where I am/ And I don’t care” singt Deal und lässt im Refrain des Songs Bläser und Streicher jubilieren. Musikalisch ähnlich opulent und elegisch angelegt ist das erwähnte “Are You Mine?”, während Deal mit “Disobedience” Breeders-Vibes verbreitet. Mit Zeilen wie “I go where I want/ While I’m still on the planet/ One day I’ll take a ride/ On the radar and rock” verdeutlicht sie, dass Anpassung auch jenseits der 60 nichts für sie ist. Angesichts einer Lebensgeschichte, die auch von Abhängigkeiten verschiedener Art geprägt ist, worauf ein Titel wie “Crystal Breath” verweist, weiß Deal aber auch: viel Zeit bleibt nicht mehr, ihre Unangepasstheit auszuleben.
Wie hart Deal mit sich selbst ins Gericht gehen kann, offenbart “Big Ben Beat”: “Big Ben Beat/ Now I’m just another asshole”, singt sie, während eine lässige Surfgitarre und eine fast metallisch riffende E-Gitarre um die Vorherrschaft streiten. Zum Schluss nimmt sie mit “A Good Time Pushed” noch rührend Abschied von Steve Albini, ihrem guten Freund, mit dem sie das Album aufgenommen hat.
Der lange Entstehungszeitraum ist “Nobody Loves You More” anzumerken. Er macht aber greifbar, welche Veränderungen im Leben einen auch noch jenseits der 50 erwarten. Als Frau sind die Wechselwirkungen nicht nur psychisch, sondern auch körperlich jenseits von Zipperlein spürbar. Aber Gibbons, Gordon und Deal verfügen über die Mittel, die Schmerzen, die Verwirrung und die Verunsicherung plastisch zu machen. Sie gießen sie in Songs, die musikalisch kaum unterschiedlicher sein könnten, aber vehement Aufmerksamkeit fordern. Oder wie Deal es mal in einem Interview mit dem Guardian sagte: “You know you’re old when you don’t give a fuck”.
Das steckt drin: The Breeders, Beth Gibbons, Kim Gordon