Kim Gordon
The Collective
Text: Jonas Silbermann-Schön / Nicola Drilling | Erschienen in: VISIONS Nr. 372
Mit 70 gelingt der unendlich coolen Kim Gordon das bislang extremste Album ihrer Karriere.
Gegen “The Collective” wirken Kim Gordons Solodebüt “No Home Record” oder ihr Experimentierspielplatz Body/Head wie eine Aufwärmübung. Zusammen mit Justin Raisen, der locker ihr Sohn sein könnte und alles von John Cale bis zu Rapper Lil Yachty produziert, sprengt Gordon die Vernissage ihres Lebenswerks elfmal in die Luft.
Der Opener “Bye Bye” gibt die Richtung vor: Dub-Basslines wie Schläge in die Magengrube, ein erdrückender Trap-Beat aus den Tiefen eines Soundcloud-Mixtapes. Gordon steht mittendrin, quält Gitarren und Synthies bis zur Ekstase und rattert ihre Einkaufsliste so lakonisch herunter, als würde die Welt um sie herum nicht in Flammen stehen. Doch erst dann macht sie es sich mit ihrer Zerstückelung von moderner Kommunikation und Kommerz so richtig bequem: “It’s Dark Inside” ist selbst für Death Grips zu zerfahren, “Psychedelic Orgasm” jagt Cloud-Rap durch den Noise-Fleischwolf und “I’m A Man” ist mit misogynen Anmachsprüchen wie “Don’t call me toxic/ Just ’cause I like your butt” nochmal anders schmerzhaft.
Das soll auch so sein: Der Spiegel, den Gordon einem vorhält, ist schwarz und rechteckig. Wer lieber reinglotzt, statt sich damit auseinanderzusetzen, sollte sich wieder dem Algorithmus hingeben. Jonas Silbermann-Schön
Der Asthmaanfall geht weiter: Kim Gordon klingt auch auf ihrem zweiten Soloalbum so unerträglich wie 2019.
Zugegeben, Kurzatmigkeit soll im Alter schonmal vorkommen. Aber dann sollte man vielleicht nicht mehr versuchen, mittelmäßig produzierten Trap-Beats hinterherzujagen. Denn genau das tut Kim Gordon auch auf ihrem zweiten Soloalbum und schafft es damit sogar, noch unerträglicher zu klingen als auf “No Home Record”. Nachdem die Ohren die unnötig übersteuerten Industrial-HipHop-Beats zu Beginn von “Bye Bye” überwunden haben, müssen sie direkt die nächste Tragödie einstecken, wenn Gordon beginnt, hinter dem Takt her zu hecheln und den Hörer:innen ihre überlange Einkaufsliste vorzulesen.
Ähnlich uninspiriert zieht sich “The Collective” über die nächsten 40 Minuten. Während die Instrumentals in etwa dem gleichen, was der erfolglose Rapper aus der ehemaligen Schulklasse wöchentlich auf Soundcloud hochlädt, zieht sich beim Hören spätestens dann alles zusammen, wenn sich Gordon in “Trophies” an Autotune versucht, bevor die Nerven beim überlangen “The Believers” endgültig zersägt werden. Wer es bis hierhin geschafft hat, kann langsam aufatmen und sich schnell auf die Suche nach etwas Erträglicherem in seiner Musikbibliothek machen. Das zu finden, dürfte nach diesem Experiment nicht schwer sein. nicola drilling
Das steckt drin: Body/Head, Death Grips, Throbbing Gristle
weitere Platten
No Home Record
VÖ: 11.10.2019