Meine Freundin, begeisterte Placebo-, Nada Surf- und Notwist-Hörerin, sagte eben, als mal wieder die “Karlshorst”-Platte lief: “Wann sindn die fertig mit Üben? Kommt da auch noch ein Song?” Ja, liebe Freunde, die wir uns gemeinsam mit Wonne und Biss seit Jahren durch Post-, Postpost- und sonstigen “Wir entledigen uns aller gängigen Strukturen”-Rock gearbeitet haben: Auch Kinn ist – mit wenigen feminin-progressiven Ausnahmen – absolute Jungsmusik; und zwar für Jungs, die sonst schon alles durchhaben, überwiegend langweilig finden und glauben, sich nichts mehr vormachen zu lassen. Doch dann kommt ein Trio wie Kinn daher, legt den Freigeist-Schalter um und lässt den kreativen Mindflow laufen. Alles ist hier drin: Von Folk zu Ambient, von reduziertem Indie zu plinkernden Glockenspielen, von Vocal-Loops zu Minimalpop, von Mùm-artigen Soundscapes zu dezenten Jazz-Atmosphären ist es oft nur ein Ton, eine Nuance, eine kleine Verschiebung der Akzente. Das klingt wild, ist es aber nicht – es ist ein begeisternder, enorm behände ineinander verzahnter Soundtrack aus Schwingungen und Stimmungen, aus angetäuschten Melodien und umgarnenden Harmonien. Vor allem die, die Harmonien, halten das Album zusammen und machen es zu weit mehr als mutig zusammengelöteter Instrumentalmusik. Hier kann man sich fallen lassen, mit jedem Durchgang tiefer eintauchen und, wenn man erst mal drin ist, ganz vergessen, wie spröde und unverdaulich diese kammermusikalische Postrockreise im ersten Moment wirkt.