Kora Winter
Gott segne, Gott bewahre
Wie findet man sich als Migrant:in in einer Gesellschaft zurecht, die auf Leistung pocht, gleichzeitig umdenkt und alles über den Haufen wirft? Wie geht man mit familiären Traumata und den abwertenden Blicken anderer Menschen um? Wenn Kora Winter nicht kommunizieren würden, dass “Gott segne, Gott bewahre” die Perspektive eines Einwanderers einnimmt, würden höchstens Zeilen wie “Bin ich hier geboren oder bin ich hier nur aufgewacht?/ Einer gegen alle, alle gegen einen, Staatsfeind Nummer Eins/ Ein Kanacke im Kleid” darauf hindeuten.
Der Song “Marmelade”, in dem Johannes Prautzsch von Kind Kaputt mitsingt, spricht das Thema am direktesten an. Auf dem Album geht es aber auch um die übergeordnete Frage nach der eigenen Identität. Im düsteren Intro “Fifteen Seconds To Think” lässt Sänger Hakan Halaç sich von einer Wahrsagerin Tarotkarten legen. Er denkt darüber nach, welche Fragen sie ihm beantworten soll, und steigt in “Der missratene Sohn” anschließend in Sozial- und Gesellschaftskritik ein: “Kunststudenten mit der Spiegelreflex dokumentieren, was kaputt gemacht wird/ Ich will sehen, wie sich die Welt in zwei perfekte Hälften teilt.”
Kora Winter klingen nicht so stilsicher wie Fjørt, das gibt ihr spuckender Metalcore nicht her. Die Atmosphäre ist aber ähnlich düster und intensiv. “Das Trauma die Trauer” beginnt mit einer kurzen elektronischen Sequenz, bevor das Schlagzeug im Dauerfeuer losballert und in ein niederschmetterndes Post-Metal-Inferno mündet.
Es ist ähnlich wie bei The Dillinger Escape Plan: Während der 38 Minuten Albumlänge weiß man oft nicht, wo oben und unten ist. Selbst der ruhige Part in “Frontal ins All” und die beiden Interludes “How Can I Deal With Myself” und “Jeder gegen jeden”, die eigentlich Raum zum Durchatmen geben, klingen unangenehm und schnüren einem die Kehle ein, weil man genau weiß, gleich bricht wieder die Hölle los. In “BBDDSSMM” lässt sich die Band von Rapperin Taby Pilgrim unterstützen.
So markerschütternd, wütend, bissig und geradeheraus klangen Kora Winter auf ihrem Debütalbum “Bitter” (2019) nicht. Selbstbewusst genug, das halsbrecherische “Alle gegen Alle” mit Streichern zu eröffnen, sind sie aber auch. Der Song steigert sich in immer lauter werdende Gangshouts, die am Ende wie ein Rudel wildgewordener Tiere klingen – so eindringlich und durcheinander, dass es zugleich Angst und Faszination auslöst. “Es ist die Hölle auf Erden hier/ Jeder gegen jeden/ Alle gegen alle.”
Das steckt drin: The Dillinger Escape Plan, Fjørt, Kind Kaputt
weitere Platten
Welk (EP)
VÖ: 21.04.2017