Norwegen, du schönes verschneites Eiland mit der Stirn im Polarkreis, was mischst du deinem Volk ins Leitungswasser? Oder besser gesagt: Was nicht? Wie ist es möglich, dass Teile der glücklichsten Bevölkerung der Welt in dem Land mit der höchsten Lebensqualität (siehe UN-Bericht März 2013) so heftig, beklemmend, furcheinflößend und trotzdem gekonnt austeilen können wie unsere sechs Freunde von Kvelertak hier? Sind es die Kräfte der Natur? Ist es der Kautabak? Ist es der Schmerz darüber, sein halbes Monatsgehalt investieren zu müssen, um auch nur den Hauch von Schwips zu haben? Kann sein. Vielleicht ist es aber auch nur die strategische Glückskombination der bestmöglichen Einflüsse aus 50 Jahren Rock- und Metal-Geschichte, die den Norwegern das für Arrangements verantwortliche Hirnzwölftel mit Beton geflutet hat. Konnte die schockerstarrte erste Generation von Kvelertak-Fans ob der Masse an hymnischen Kompositionen auf dem 2011er Debüt nur noch beseelt-debil mit dem Kopf nicken, so muss sie diesmal schon etwas näher an den Brunnenrand treten, um die Tiefe der dargebotenen Stücke zu erkennen.
“Meir” – Norwegisch für “mehr” – ist ein Titel, den man in jeglicher Hinsicht wörtlich nehmen darf. Mehr angriffslustige Riffs als die haiverseuchte Küste Australiens, mehr böse Growls als das Raubtiergehege im Zoo von Oslo, mehr Breaks, die sich durch die Songs ziehen wie linkisch geknüpfte Stolperdrähte. Wer sich im Angesicht des Gebotenen unvorsichtig verhält, der schläft in Zukunft unter einem Holzkreuz mit der Inschrift: “In Gedenken an [hier bitte den entsprechenden Namen einfügen]. Er hat es wenigstens versucht.” Allen, die es dagegen unversehrt durch den Geduld und festes Schuhwerk verlangenden Parcours aus elf Stücken schaffen, eröffnet sich ein Universum aus scheinbar unvereinbaren Klängen. Aus RocknRoll, Hardcore, Death- und Black Metal. Ein in schwarzes Stretch gezwängter Klangkörper aus Metall, nicht hübsch anzusehen, aber mit Charakter. Wenn man sich erst mal an dessen muttersprachlich formulierte Texte und Titel wie “Spring Fra Livet” oder “Bruane Brenn” gewöhnt hat, steht einem geselligen Abend unter brennenden Kirchendächern nicht mehr viel im Weg.
Doch noch einmal zurück zu unserer eingangs gestellten Frage und dem Phänomen der Angst und Beklemmung, die sich durch “Meir” graben. Es sieht so aus, als hätte sich Sänger Erlend Hjelvik diesmal bei der Suche nach passenden Themen von nordischer Mythologie und Folklore verabschiedet und sich vermehrt seiner Phantasie gewidmet, vom Verstümmelungsritual bis zum Angriff des Antichristen ist alles dabei. An welchem Nektar der Mann auch immer genippt hat, um sein Hirn auf solche Bilder zu programmieren – eines steht fest: Wenn die UN ihre nächste Umfrage startet, sollten sie an die Haustüren von Kvelertak anklopfen. Alles andere würde nur die Statistik verwässern.