Signale waren zuletzt konfus, schwer zu werten. In Manchester spielte Liam bei einem Benefiz-Gig nach den Terroranschlägen eine triumphale Version von “Don’t Look Back In Anger” – nur am Schellenkranz, den Rest besorgte das Publikum, das war die vereinende und tröstende Kraft des Rock’n’Rolls auf den Punkt gebracht. Als Twitterer erinnert Liam Gallagher dagegen beinahe an Donald Trump, so effektgesteuert haut er über diesen Kanal Merkwürdigkeiten heraus. Er sagt selbst, Twitter könnte seine Karriere killen, aber was solle er tun, die Menschen verlangten danach. Nein, Liam, tun sie nicht. Sie verlangen nach einem guten Solo-Album. Und das haben wir nun, selbst wenn es nicht ohne Twitter auskommt, denn mit der Phrase “As You Were” enden viele seiner Postings. Die Platte beginnt mit der viel zu sterilen ersten Single “Wall Of Glass”, die nur von Liams Stimme gerettet wird. Schon “Bold” ist zwei Klassen besser, die Harmonien umkreisen das Spätwerk der Beatles, aber sie tun das sehr gekonnt. Bei “Greedy Soul” klauen sich Liam und sein Songwritingteam die Gesangsmelodie bei “Supersonic”, was den stampfenden Bluessong leider unbrauchbar macht. Aber was soll’s, es folgt “Paper Crown”, eine Ballade, die bei Lennon anfängt, kurz bei Crosby, Stills, Nash & Young im Laurel Canyon vorbeischaut und dann wieder bei Lennon endet. Wenn sich der Song nach gut zwei Minuten öffnet, ist die Metapher von der Papierkrone schon gar nicht mehr so dämlich – so erging es uns damals bei “Wonderwall” und “Champagne Supernova” ja auch, das ist der Gallagher-Trick, schnell erdachte Bilder werden zu Weisheiten. Die Entschuldigungshymne “For What It’s Worth” ist des Guten zwar etwas zu viel, erinnert aber immerhin an “Stand By Me”, den sträflich unterschätzten Oasis-Welthit. “When I’m In Need” ist textlich aus bescheidener Haltung heraus geschrieben, ragt aber musikalisch hervor: erhaben schunkelnde Psychedelia majestätischer Anmutung, eine solche Musik haben wir von einem Gallagher noch nie gehört. Danach wird es wieder lauter, die Rockstücke gelingen weiter eher nicht, dafür ist der Klang zu clean, die Lust auf Dreck einfach nicht vorhanden. Darum funktionieren die Songs, die bewusst die reine Lehre verfolgen: “Chinatown” zitiert nun auch textlich die Beatles, schimpft auf Yoga-Typen, ist ein toller Folksong. “I’ve All I Need” gerät derart poppig und rund, dass Liam mit der Nummer zum Eurovision Song Contest fahren könnte. Zumindest zu diesem Anlass: zwölf Punkte!
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