Bis man das spürt, nagen die Zweifel: Sind die schwach geworden? Haben sich arrangiert mit Bausparvertrag, Emoticons und Soja Latte? “Jagd und Hund” kratzt und beißt zunächst kaum, läuft zwischen weniger Punkrock, mehr Postpunk und Pop-Momenten verdächtig mild durch. Wo Love A früher alles maximal persönlich nahmen, um die Dinge dann angepisst auf eine Konfrontation zwischen ich und du oder wir und ihr herunter zu brechen, machen sie heute auch mal einen Schritt auf einen offeneren Kulturpessimismus zu. “Trümmer” etwa nimmt die soziale Entfremdung des Digitalzeitalters ohne konkreten Vorwurf zur Kenntnis, “Lose Your Illusion” über einen mit Drogen und Medikamenten gefütterten Leistungswahn wechselt erst gegen Ende aus der Beobachterposition zum Ich. Der Zorn und die Anklagen funktionieren auf “Jagd und Hund” subtiler – etwa im zentralen Song “100.000 Stühle leer”, einem poppigen Provinz-Panorama, wie es bei Jupiter Jones schon lange nicht mehr denkbar ist. “Wenn man sie kennt darf man getrost die Regeln brechen/ Weil die meisten doof sind fällts uns gar nicht schwer/ Nur wer mal aufgestanden ist, der darf sich setzen/ Und darum bleiben hier so viele Stühle leer”, heißt es dort treffend, und natürlich passt das auf Love A selbst, die den Regelbruch – auch innerhalb der eigenen Szene – längst verinnerlicht haben und sich jetzt ein wenig setzen, was dann trotz aller Nachdenklichkeit eben “irgendwie auch Punk” ist. Es mögen 2015 keine Kinder mehr in Pools ertrinken und Fäuste in Gesichtern von Facetime-Nutzern landen, zornige Zeilen hat Sänger Jörkk Mechenbier immer noch genug auf Lager, zum Beispiel gegen den Weg vom Revoluzzertum ins Reihenhaus, den die Generation seiner Eltern gegangen ist: “Lavendelseife statt Steineschmeißen/Wenn euch das reicht, wenn das alles ist/ Was hab ich dann überhaupt vermisst?” Und zumindest in “Der beste Club der Welt” wird richtig satt gehasst: “Weil dein Verstand komplett im Arsch ist/ Glaubst du an Gott, und wahrscheinlich sogar an das System”, drischt Mechenbier auf konsumkranke Hipster ein. Wer nach dem zweiten Anti-Internet-Rant “Modem” immer noch nicht weiß, wie er Jagd und Hund zu nehmen hat, dem liefern Love A im letzten Song inklusive Kirchenchoral die ambivalente Gebrauchsanweisung mit: “Brennt alles nieder/ Fickt das System/ Aber lasst mich erst mal schlafen gehen.” Das könnte das Durchatmen der Unbeugsamen sein – oder schon wieder der nächste Szene-Diss.
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