Metz
Up On Gravity Hill
Ein Menschenleben reicht nicht aus, alle Songs über die Liebe zu zählen. Aber im Groben gibt es zwei Arten: Solche, in denen das frische Glück so groß ist, dass sich der Regebogen nicht mehr aus den Spektralfarben zusammensetzt, sondern aus Rosarot, und solche, in denen die Liebe unerwidert bleibt, die Entfernung unüberbrückbar, auch wenn die oder der Angebetete im Nachbarhaus wohnt. Selten sind jene, die Metz-Frontmann Alex Edkins schreibt. Bei ihm ist der Kater nach der Gefühlsbesoffenheit abgeklungen, es sind Kinder dazugekommen, ein gemeinsamer Hausstand, Sicherheit, Geborgenheit. All das löst sich auf, wenn er mit seiner Band auf Tour ist. Also gießt der Sänger und Gitarrist seine Sehnsucht in eine ungewöhnliche Form: kantigen Noiserock mit melodiösem Topping – gänzlich unpeinlich, erstaunlich nahbar. So etwa in “Entwined (Street Light Buzz)”: Das Schlagzeug von Hayden Menzies prescht nach vorn, die Saiten auf Edkins Gitarre sind gespannt wie Draht und Chris Slorachs Bass brummt unzufrieden im Untergrund. “Nobody said this would be easy/ To pull apart, divide/ Entwined/ Entwined”, singt Edkins und klingt mindestens so trotzig wie niedergeschlagen.
Überhaupt ist “Up On Gravity Hill” ein Album der Kontraste, das die Stärken der Band aus Toronto bündelt und mit neuen Elementen aufbricht – textlich wie musikalisch. Es ist wohl vor allem Edkins jüngstem Soloausflug als Weird Nightmare zu verdanken, dass sich im grandiosen Opener “No Reservation/Love Comes Crashing”, einer ebenso clever geschriebenen wie arrangierten Doppelsingle, schon bald ein Glockenspiel in den Sound schleicht, ehe zum Ende von “Loves Comes Crashing” Geigen den Sound von Edkins Gitarre andicken. Man mag es kaum glauben, aber gespielt hat sie Owen Pallett. Oder dass “99” Acapella endet, als hätte man die Beach Boys unter Gewaltandrohung gezwungen, einige Harmonien zu singen. Bei “Superior Mirage” integrieren Metz dann einen zuckenden Synthesizer, aber nicht um sich dem Zeitgeist anzubiedern, sondern weil es der Song mit seinem geisterhaften “Ooh ooh, ooh ohh” erfordert. Und das abschließende “Light Your Way Home” wäre wohl auf einem ihrer älteren Alben auf einer Single-B-Seite versteckt worden als es an so prominenter Stelle zu platzieren. Zugleich ist es ein Novum für Metz: Ein schmachtendes Duett zwischen Edkins und Amber Webber (Black Mountain), die sich gegenseitig Zeilen an den Kopf werfen wie “When I’m close to you/ There’s somewhere I go/ Where everything is new.”
Das fantastische Ende eines Albums, das ebenso knackig wie auf den Punkt ist und vor allem einlöst, was man als die Quadratur des Kreises in der Rockmusik ansehen darf: Sich zu verändern und gleichzeitig ganz bei sich zu bleiben. Neue Elemente organisch in den eigenen Sound zu integrieren, sich zu öffnen und mal zu schauen, was rauskommt. Wenn das jedes Mal so berührend und emotional schlüssig funktionieren würde wie bei Metz und “Up On Gravity Hill”, wäre die Musikgeschichte um einige Klassiker reicher.
Das steckt drin:
Weird Nightmare “Weird Nightmare” (Sub Pop, 2022)
Die neue Melodieseligkeit von Metz geht auch auf Edkins Soloprojekt Weird Nightmare zurück. Im Power-Pop-Gewand ist hier vieles angelegt, was die drei für “Up On Gravity Hill” in ihren Sound einfließen lassen, ohne an Durchschlagskraft einzubüßen. Es ist einer der seltenen Fälle, bei denen ein Soloalbum der Anfang einer neuen Phase für die Hauptband ist – und nicht ihr Ende.
The Skull Defekts “Dances In Dreams Of The Known Unknown” (Thrill Jockey, 2014)
Die Band um Produzent Daniel Fagerström (Viagra Boys) gab es knapp 13 Jahre lang. In dieser Zeit hat sie Noiserock in Trance versetzt, zum anderen durch ihre Zusammenarbeit mit Sänger Daniel Higgs (Lungfish) sein Korsett aufgebrochen wie auf “Dances In The Dream Of The Known Unknown”. Der österreichische Standard nannte es “das beste Album der Welt”. Kann man so sehen.
Unsane “Scattered, Smothered And Covered” (AmRep, 1995)
Die Basis für den Sound von Metz ist schon lange gelegt. Auf ihren ersten Alben sind die Kanadier den New Yorker Paten des Genres noch musikalisch näher. Aber die Mundharmonika am Anfang von “Alleged” zeigt bereits Mitte der 90er, dass Noiserock weit weniger ideologisch ist als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Und Melodien kann Chris Spencer auch schreisingen.
Zweitstimmen:
Juliane Kehr: “Metz wissen genau, wann man eine abgefuckte Gitarre in eine süße Melodie dreht und wann man sie lieber mit dem Schlagzeug zusammen wüten lässt, bis sie den Song kurz und klein gedroschen hat, ohne dabei den Hörer zu verlieren. Auf “Up On Gravity Hill” besser denn je.”
Jan Schwarzkamp: “Metz sind eine sehr gute Band. Gerade live. Und “Up On Gravity Hill” ist ein gutes Album. Am Ende ist es mir aber häufig zu spröde. Mir fehlt der letzte Ruck zur Ohrwurmmelodie, zum mitreißenden Moment. In dieser Hinsicht gefiel mir der Vorgänger “Atlas Vending” besser.”
weitere Platten
Live At The Opera House
VÖ: 04.08.2021
Atlas Vending
VÖ: 09.10.2020
Live At Ramsgate Music Hall (EP)
VÖ: 03.07.2020
Automat
VÖ: 12.07.2019
Strange Peace
VÖ: 22.09.2017
Metz II
VÖ: 04.05.2015
Metz
VÖ: 05.10.2012