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    Muff Potter
    Bei aller Liebe

    VÖ: 26.08.2022 | Label: Huck's Plattenkiste/Indigo
    Text:
    Muff Potter - Bei aller Liebe

    Viel hätte schief gehen können bei diesem Comeback-Album 13 Jahre nach der Bandauflösung. Doch Muff Potter kleben nicht an der Vergangenheit.

    Auf “Bei aller Liebe” kennt die “Angry Pop Music” der Ex-Dorfpunks kaum noch Zwänge: Punkrock, Post-Punk, Power-Pop, Indie, Spoken Word, Bläser – alle Songs wirken, als hätte die Band sich von ihnen die Form diktieren lassen. Man hört also die Bandpause, aber keinen Bruch: Das hier sind Muff Potter, nur reifer. Auch, weil die Schriftsteller-Karriere von Sänger und Gitarrist Thorsten Nagelschmidt stärker in die Band hineinwirkt: Der Opener “Killer” beginnt zur Gitarre von Bushs “Glycerine” literarischer denn je mit Großstadt-Beobachtungen, am Ende verbinden sich die Fragmente zu einem gesellschaftlichen Wir, für das ein Chor die große Frage stellt: Wie wollen wir leben? Darin steckt der gleiche soziale Sprengstoff wie in Nagelschmidts Roman “Arbeit” (2020), an den “Bei aller Liebe” nun als bislang politischste Muff-Potter-Platte anschließt: Das milde “Ich will nicht mehr mein Sklave” sein drängt raus aus der marktgerechten Selbstausbeutung, der discoide Post-Punk von “Flitter & Tand” entlarvt inklusive Fugazi-Zitat die Abhängigkeiten der Social-Media-Selbstvermarkter. In “Hammerschläge, Hinterköpfe” reiht Nagel zum pulsierenden Bass und mit Extra-Gitarrenpower von Kristof Hahn (Swans) so lange Werbeslogans und Selbstoptimierungsphrasen aneinander, bis einen die hässliche Fratze des Neoliberalismus förmlich anspringt. Und “Privat” ist 72 Sekunden zackig ausgespiener Punkrock über vom Kapitalismus gefressene Allgemeingüter. All das passiert mit großer emotionaler Dringlichkeit, auch in den beiden Sternstunden der Platte: Zu einem unruhigen Post- Punk-Soundbett spricht Nagelschmidt im Blumfeld-Stil die Müßiggang-Fantasie “Ein gestohlener Tag”, die im hymnischen Refrain “Niemals mehr zur Arbeit gehen!” bereits einen ersten Höhepunkt erfährt, sich mit einem trippigen Outro aber auf fast acht Minuten ausdehnt, bis sich der Sänger mit Timothy Learys (leicht erweitertem) LSD-Mantra “Turn on, Tune in, Drop out” in einen orgiastischen Soundsturm hineinsteigert. Noch gewaltiger klingt “Nottbeck City Limits”: Wie ein Beat-Poet erzählt Nagelschmidt von den friedvollen Albumaufnahmen in Westfalen, bis der erbärmliche Umgang mit Mensch und Tier in der Fleischindustrie im nahen Rheda-Wiedenbrück Abscheu in ihm weckt. Immer dramatischer klingt sein Vortrag, er zititert “Die Internationale”, Paul McCartney und Bert Brecht – und am Ende steht ein episches Sozialpanorama der Ausbeutung, das Upton Sinclairs Roman “Der Dschungel” (1906) über die Schlachthöfe von Chicago Ehre macht. Wow.

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