Wenn Naked Lunch im Opener und Titellied von “All Is Fever” in einer Stimmlage, die ferner von Zorn und Testosteron nicht sein könnte, Keep it hardcore/ Keep it real beschwören, muss man gleich schmunzeln. Oberflächlich betrachtet herrscht Ironieverdacht, doch die Kunst dieser Platte ist in der Tat mehr Hardcore zu sein, als Hardcore je sein kann. Naked Lunch betten böse Erzählungen in ein nur leicht angeschrägtes Klangkleid aus harmonischem Indiepop – die surreale Variante wohl bemerkt, die sich anfühlt, als hätten die Beatles, die Beach Boys und die Byrds einige Wochen lang im Raum mit den roten Vorhängen aus “Twin Peaks” geprobt. Was die Band, die 2011 ein Theaterstück zu Franz Kafkas Roman “Amerika” begleitete, in ihren Liedern erzählt, geht geradewegs in die Magengrube. Da bittet das erzählende Kind den Papa, schnell nach Hause zu kommen, da Mama sich im Schlafzimmer eingeschlossen habe und bereits sterbe. Da gesteht ein Mann, mit der Frau seines besten Freundes geschlafen und es genossen zu haben wie einen Ausflug ins Paradies. Da gibt es Leidenschaft und Todessehnsucht Lied an Lied. Eros und Todesgott Thanatos tanzen durch Kammerpop mit Chören sowie orchestral dramatische Gesten, und wenn nach acht Stücken die menschliche Psyche zerteilt am Boden liegt, blubbern und pumpen die letzten beiden Songs “Over It” und “The Funeral” ihre finsteren Geschichten überraschenderweise über einen dickflüssigen, lässigen Beat, der so auch auf einem Album von Dr. Dre zum Einsatz kommen könnte. Ein Album, das gleichzeitig kompromisslos und sinnlich packend ist, ein Wiederhörer mit Widerhaken, ein faszinierender Fiebertraum.
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