Nick Cave & The Bad Seeds
Wild God
Die Älteren werden sich erinnern: Mit den Worten “And I’m just waiting now/ For peace to come” beschloss Nick Cave vor fünf Jahren “Ghosteen”. Bedeutungsschwanger und voller Hoffen und Bangen auf Seelenfrieden. Ausgang? Ungewiss – bis jetzt. Auf “Wild God” erfüllt sich sein frommer Wunsch, schließt sich der Kreis der beiden vorangegangen Trauerbewältigungsplatten “Skeleton Tree” (2016) und “Ghosteen” (2019).
“Maybe a long dark night is coming down/ Maybe a long dark night, my precious one/ Maybe a long dark night is rolling around my head/ Oh, Lord“, heißt es etwa in der countryesken Pianoballade “Long Dark Night”. Licht und Schatten wechseln sich darauf ab, lassen die Gegenwart zwischen Warren Ellis’ Ambient-Soundarchitektur mit vorsichtigem Optimismus aufblitzen und das Gestern in flüchtigen Bildern und mit brüchiger Kopfstimme: Flehte Cave in “Mercy” (1988) knarzend um Gnade, erhält der Frontmann die Absolution von Gottesgnaden 36 Jahre später im herzzerreißenden “Joy”, das zunächst mit einem gefühlvollen Klavierintro beginnt und sich anschließend rund sechs Minuten Zeit nimmt; für die Ausformulierung des Blues, für das Suchen und Finden des Bedeutsamen im scheinbar Nebensächlichen.
Die Vergangenheit wirft auf “Wild God” ihre langen Schatten und zeigt sich in den Momenten, in denen es um die Verarbeitung ebendieser geht: Im Opener “Song Of The Lake” und dem leichtfüßig dahingepfiffenen “O Wow O Wow (How Wonderful She Is)” lassen Cave und seine Bad-Seeds-Kollegen die verletzlichen “Bright Horses” der Vorgängerplatte aus dem Stall, um im Titelsong auf die schicksalhafte Kraft des Allmächtigen anzuspielen und einer alten Bekannten aus dem “Jubilee Street”-Kosmos neues Leben einzuhauchen – samt Orchester im Hintergrund, das in “Frogs” und “Cinnamon Horses” zu Caves pastoralem Gesang auf eine unendliche Reise Richtung Himmel geschickt wird. Bibelfest im Sattel sitzend und mit Streicherelementen, versteht sich.
Was am Ende bleibt? Der Gedanke, dass früher oder später alle vom Baum der Erkenntnis naschen werden und baldige Rettung in Sicht ist. Mit dieser Annahme schließt zumindest das Abschlussstück “As The Waters Cover The Sea” zu üppiger Gospelchor-Begleitung und einem vagen Hoffnungsschimmer. Wem das zu lange dauert, der kann sich als Vorgeschmack schon mal “Wild God” anhören. Amen.
Das steckt drin: Leonard Cohen, Dirty Three, Tom Waits
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