Denn genauso wie für den geneigten Leser in der Heiligen Schrift andere Aspekte als die Glaubwürdigkeit der Charaktere oder der Spannungsbogen zählen, dreht sich auch bei der New Yorker Rock-Ikone stets alles um mehr als nur ein Dutzend amtlicher Schunkel-Nummern, das bitte abgeliefert werden soll. Es geht ums große Ganze. Die Musik ist schließlich nur ein Standbein der 65-Jährigen, die den Rest ihrer Zeit Gedichte schreibt, fotografiert, malt, sich politisch engagiert und Kunst und Wissen aufzusaugen scheint wie ein Staubsauger. Auch Banga, Smiths erstes Album mit eigenen Songs seit 2004, verströmt eine Atmosphäre von Bedeutsamkeit, einem höheren Zweck; ein lässiger Popsong wie “April Fool” bildet da die Ausnahme. Selbst die recht konventionelle Soul-Ballade “This Is The Girl” hat einen ernsten Hintergrund, ist sie doch eine Reminiszenz an die tote Amy Winehouse. “Fuii-San” ist dem katastrophengeschüttelten Japan gewidmet, der Opener “Amerigo” und das zehnminütige Epos “Constantines Dream” befassen sich mit der Ankunft der Europäer in Amerika. Mit der feierlichen Autorität einer Beatnik-Schamanin nimmt sich Smith dieser Themen an, zelebriert sie singend und rezitierend zu psychedelischem Folk, Rhythm & Blues, Gitarrenimprovisation, Streichern, Orgel- und Akkordeoneinlagen. Die Wirkung ist mal meditativ, mal die eines fiebrigen, aufwühlenden Traums. Am Ende gibt es mit Neil Youngs “After The Gold Rush” und Kindergesang noch einen Denkanstoß mit auf den Weg: “Look at mother nature on the run in the 21st century”. Die Meisterin hat gesprochen.
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