Pelican
Nighttime Stories
Das Ungestüme und Gefährliche hat die Band aus Chicago ihren Instrumentalsongs ja schon immer mitgegeben; wenn Post-Rock ganz klischeemäßig der Soundtrack zu einem Film ist, dann gab es bei Pelican von Anfang an vor allem jede Menge Action. Statt feinsinnige Schwebebögen in die Atmosphäre zu malen oder vollends im tragischen Metal einzubrechen, legten ihre Songs von Beginn an Tempo vor, steuerten präzise um Hindernisse herum und hatten dabei meist einen ungeheuren Spaß, den man dem Genre sonst selten so offen anhört. In den “Nighttime Stories” hat der nun Pause. Die acht Stücke preschen immer noch größtenteils waghalsig voran, aber die Freude daran ist einer fiesen Nüchternheit gewichen. Ursprünglich war der Albumtitel mal für Tusk vorgesehen gewesen, die Band, mit der sich Pelican drei Mitglieder teilten, bis deren Sänger Jody Minnoch 2014 starb. Jetzt setzen sie das Chaos danach auf ihre Weise um. “Nighttime Stories” ist das erste Pelican-Album seit “Forever Becoming” von 2013, und es fasst so viel wahres Leben zusammen, wie man mit beiden Händen greifen und gleichzeitig den Kopf hineinsinken lassen kann. Die Songs verzweifeln, und sie fangen sich wieder, sie stehen auf festem Post-Metal-Boden, um dann rücklings in schmutzigen Grindpunk zu fallen und durch sludgigen Rock wieder nach oben zu kriechen. Das vergleichsweise geordnete “Midnight And Mescaline” gehört mit seinen schwungvollen Riffs noch zu den klassischeren Stücken der Band, aber es darf erst losrollen, nachdem die geisterhafte Akustikballade “WST” drei Minuten lang des verstorbenen Vaters von Gitarrist Dallas Thomas gedacht hat, der dem Sohn sein Instrument vermacht hat. Im sehr ruhigen “It Stared At Me” klingt die ganze Band zusammen fast dreieinhalb Minuten lang wie der einsamste Weltraum-Cowboy der Welt, der nicht mal mehr die Energie hat, in irgendwas auszubrechen. Pelican ist nicht mehr ständig nach unbändigem Spaß, was aber nicht heißt, dass “Nighttime Stories” sich als Album aufgeben würde. Im Gegenteil: In ihrer neuen Ernsthaftigkeit hat die Band eine der beeindruckendsten Platten ihrer Karriere aufgenommen, die Dynamik nicht künstlich erzeugen muss, sondern das Laute so laut, das Leise so still und das Hoffnungslose so konfus sein lässt, wie es eben ist. Als letzter Song des Albums steht schließlich das gewaltige “Full Moon, Black Water” acht Minuten lang riesig und trotzig und melodisch in der Brandung, nicht als Ende, sondern mit erhobenem Kopf und einem mutigen Blick nach vorne.
weitere Platten
B-Sides And Other Rarities
VÖ: 05.06.2020
Forever Becoming
VÖ: 18.10.2013
What We All Come To Need
VÖ: 06.11.2009
City Of Echoes
VÖ: 29.06.2007
The Fire In Our Throats Will Beckon The Thaw
VÖ: 22.08.2005
Australasia
VÖ: 04.11.2003