Von normalen Umständen kann bei einem solchen Ausnahmemusiker sowieso keiner sprechen: Sei es, dass dieses Album eigentlich gar nicht hätte entstehen sollen, weil er plante, sich zur Ruhe zu setzen, sei es, dass die Stücke vier Mal gemixt wurden und trotzdem nach Demo klingen, oder dass diesmal zehn Gastmusiker im Studio standen. Abgesehen davon, dass Muse Pia Lund auch wieder im Boot ist. “C 90” klingt weder so elektronisch wie sein Vorgänger “The Red” noch so selbstreflexiv wie das 2000er-Liebeskummer-Epos “My Private War”. Jetzt kommt das wirklich Überraschende: Die Platte ist mindestens so verschroben wie ihr Schöpfer – im Opener “Slipstream” oder dem verstörten “Stutter Shop”. Trotz allem ist der Ansatz ein eher entspannter, Boa selbst spricht von subjektiver Unbedarftheit. Um das zu unterstreichen, rockt der Mann schrammelnder als die Bands mit dem “The” im Namen – als wollte er beweisen, dass die Zeit des Nachdenkens jetzt endgültig vorbei ist (“It’s Not Punk Anymore”). Dazwischen haucht Pia Lund derart süßliche Melodien in den Raum, dass man sofort ein guter Mensch werden will. “C 90” ist ein verworrener Wechsel aus Romantik und distanzierter Abgeklärtheit, mal im akustischen, mal im verzerrten Gewand. Möglich, dass das einigen mit “gewöhnungsbedürftig” noch zu nett umschrieben wäre, andererseits ist Boa nun mal kein Auftragserfüller für Erwartungen jeglicher Art. Denn letztlich ist der Mann mit den hundert Namen – “Arschloch”, “Lord Garbage” und jetzt: “Ex-½-Popstar” – sich selbst der härteste Kritiker, wenn er gesteht: “I’m a little complicated”.
weitere Platten
Earthly Powers
VÖ: 10.08.2018
Bleach House
VÖ: 22.08.2014
Loyalty
VÖ: 10.08.2012
Diamonds Fall
VÖ: 13.02.2009
Faking To Blend In
VÖ: 03.08.2007
Decadence & Isolation
VÖ: 29.08.2005
The Red
VÖ: 06.08.2001
My Private War
VÖ: 31.01.2000
She
VÖ: 04.01.1996
God
VÖ: 21.02.1994
Boaphenia
VÖ: 17.02.1993
Helios
VÖ: 18.02.1991