“Post Pop Depression” war gestern, Iggy Pops “Free” ist ein freigeistiges Spätwerk, das leise Haken schlägt. Iggy Pop haut mal eben seine wohl überraschendste, irritierendste und untypischste Platte raus. “Dies ist ein Album, auf dem andere Künstler für mich sprechen, aber durch meine Stimme”, so Pop über die neuen Songs. Sprechen ist das passende Stichwort, denn außer in “Loves Missing”, “Sonali” oder dem von Knackbass dramatisierten “James Bond” fungiert Pop tatsächlich mehr als Erzähler denn als Sänger oder Rock-Poseur im klassischen Sinn. Seine Kooperationspartner sind zum einen Noveller, das Alter Ego von Filmemacherin Sarah Lipstate, zum anderen Leron Thomas, ein amerikanischer Komponist und Trompeter, der bereits mit Künstlern wie Erykah Badu, Meshell Ndegeocello und 88-Keys zusammengearbeitet hat. Es ist Thomas’ Trompete, die den Stücken ihre Färbung gibt – dunkle Skizzen, getragen von Pops hier noch tiefer als ohnehin klingenden Stimme, mäandernd zwischen Hörbuch-Vortrag und urban gefärbtem Jazz. Eine zuweilen unwirkliche, dabei packende Atmosphäre durchzieht dieses Song-Mosaik, der nächtlichen Stimmung in Miles Davis‘ Soundtrack zum Film-Noir-Klassiker “Fahrstuhl zum Schafott” nicht unähnlich. “Ich habe mein Leben immer in der Überzeugung gelebt, dass Freiheit das einzige Gefühl ist, das es wert ist, ihm nachzujagen”, so Pop im Text zur Platte. Mit “Free” dürfte er diesem Gefühl in künstlerischer Hinsicht so nah gekommen sein wie nie zuvor.
9/12 Ingo Scheel
Der Superpunk fühlt sich endlich frei. Als hätte er nicht schon immer reichlich Narrenfreiheit genossen. Wir alle und Social Media sind selbstverständlich froh darüber, dass es noch keine “R.I.P. Iggy Pop”-Posts gab. Endlich einer, der scheinbar unzerstörbar ist. Die – spektakulär unspektakuläre – “Post Pop Depression” hat das lederne Stehaufmännchen unter der Sonne seiner Wahlheimat Florida überstanden. Jetzt ist er frei, so frei, dass Pop sein neues Album “Free” nennt und auf dem Cover nackt aus dem Meer steigt. Stilistisch frei ist das Album gewiss, aber egal, was Pop anstellt: Seit “American Caesar” von 1993 hat er eigentlich nur noch mittelmäßige Platten veröffentlicht – Superlegende hin, Kreativität her. Das sei ihm ja alles gegönnt, selbst die Experimente auf “Free”. Trotzdem ist sein knorriges Spoken-Word-Gefasel zu Ambient-Sounds und am Horizont trötender Trompete gähnend langweiliger Kunstquatsch eines Mannes, der halt schon vieles gemacht und probiert hat. Die konkreter als Songs zu definierenden Stücke dazwischen sind – nun ja – speziell. Das break-beatige “Sonalil” kann man vielleicht als Verabschiedung von Freund Bowie verstehen. Aber das monotone – ja: alberne “James Bond” hat einen immensen Fremdschamfaktor, den auch das Mexiko-Western-Experiment “Dirty Sanchez” mit seinem peinlich-nervigen Call-&-Response-Gesang nicht überbieten kann. Ich hätte kein Problem damit, wenn Pop jetzt in Rente gehen würde. Er hat’s längst allen bewiesen.
4/12 Jan Schwarzkamp
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