Primal Scream
Come Ahead
Über gute Ansätze und Nostalgie befriedigende Selbstzitate kamen Primal Scream darauf nicht hinaus, dafür irritierten sie mit einem aufgesetzten Synthiepop-Einschlag und Songs, die nicht zu Ende gedacht wirkten. Das ist keine Schande, Primal Scream haben sich ihre Narrenfreiheit redlich erarbeitet, sind im Zickzack durch die Musikgeschichte. Vom psychedelischen Paisley-Underground ihrer Frühwerke, der Miterfindung von Rave (“Screamadelica”, 1991), der Rolling-Stones-Werdung (“Give Out But Don’t Give Up”, 1994) über Dub-Abenteuer (“Echo Dek”, 1997) und Elektro-Geballer neben Stooges-Punk (“Xtrmntr”, 2000) haben sich die Schotten ausprobiert, mal überzeugt und mal enttäuscht. Meist im Wechsel. “Come Ahead” ist folglich wieder ein gutes Primal-Scream-Werk.
Satte acht Jahre sind seit dem Vorgänger vergangen. Die Welt stand in dieser Zeit nicht still – und zwischenzeitlich dann doch: Keyboarder Martin Duffy, der seit 1989 dabei war, starb 2022. Anführer Bobby Gillespie hat mit Jehnny Beth ein Album aufgenommen und mit seinen Söhnen Wolf und Lux für H&M gemodelt.
Dass in dieser Zeit auch reichlich Arbeit ins zwölfte Album von Primal Scream geflossen sein dürfte, beweist “Come Ahead”. Mit 75 Minuten ist es doppelt so lang wie “Chaosmosis” und bis ins kleinste Detail ausgearbeitet. Es ist durch und durch Primal Scream, was vor allem daran liegt, dass einen Gillespies alterslose Stimme an die Hand nimmt und durchs Album führt, dessen Fundament an die edel ausstaffierten Extended-Soul-Extravaganzen von Isaac Hayes erinnert.
Immer wieder umgarnen einen edle Streicherarrangements (“Innocent Money”), dazu gibt es groovenden Disco-Funk. Der “Melancholy Man” klingt auch so, entführt in eine verrauchte Bar mit einem einsamen Saxofonisten. Den Ton setzt zu Beginn aber ein Gospel-Chor, denn auch das Spirituelle war immer ein Teil von Primal Scream. Der einsetzende Bass-Groove zwingt danach auf den Dancefloor.
Rock und ihre Liebe zu den Stooges treten diesmal deutlich in den Hintergrund, lediglich “Love Ain’t Enough” darf garagig pumpen und eine sägende Gitarre zwischen die Soul-Streicher packen. Cineastisch fällt “Come Ahead” aus. Es verhandelt in seinen elegischen Stücken zwischen vier und neun Minuten Persönliches, schwelgt in sehsüchtiger Melancholie, nimmt den religiös überhöhten Wellness-Wahn in “The Centre Cannot Hold” ins Visier und lässt auch die Politik nicht außen vor: Stichwort “Innocent Money” und der fadenscheinige Trickle-Down-Effekt.
Das steckt drin: Isaac Hayes, Jungle, Gil Scott-Heron
weitere Platten
Reverberations (Travelling In Time)
VÖ: 28.07.2023
Give Out But Dont Give Up: The Original Memphis Sessions
VÖ: 12.10.2018
Chaosmosis
VÖ: 18.03.2016
More Light
VÖ: 10.05.2013
Beautiful Future
VÖ: 01.08.2008
Riot City Blues
VÖ: 02.06.2006
Dirty Hits
VÖ: 03.11.2003
Evil Heat
VÖ: 05.08.2002
XTRMNTR
VÖ: 31.01.2000
Vanishing Point
VÖ: 07.07.1997
Screamadelica
VÖ: 23.09.1991
Primal Scream
VÖ: 04.09.1989