Wieder kein Brexit-Album der Electro-Punks. Warum auch? Es war ja schon vorher alles im Arsch. Auch auf dem zweiten Album der Sleaford Mods seit dem EU-Referendum ist der Brexit-Schlamassel nur eines von vielen Themen, über die sich Jason Williamson leidenschaftlich auskotzt. Völlig unbeeindruckt von dem Chaos bezeichnet er den Brexit in “Policy Cream” als nur ein weiteres Loch, aus dem man eben wieder rausklettern müsse. Wer das Loch gegraben hat, ist den Sleaford Mods klar: die politische und wirtschaftliche Elite des Landes, die auf teuren Privatschulen wie dem Eton College ausgebildet wird. Sie frisst die weniger privilegierte Bevölkerung bei lebendigem Leibe auf (deshalb das Wortspiel im Albumtitel) und scheidet sie halbverdaut wieder aus. Also alles im Arsch, aber auch alles beim Alten. Das gilt ebenfalls für den Sound des Duos aus Nottingham, der sich im Vergleich zu “English Tapas” vor zwei Jahren (und allen anderen Alben) nur unwesentlich verändert hat. Williamsons Sidekick Andrew Robert Lindsay Fearn entlockt seinem Laptop gewohnt rudimentäre Beats, die dennoch Überraschungen bereithalten wie den Wobbel-Bass aus Mr. Oizos “Flat Beat” bei “Kebab Spider” oder ein Kazoo-Solo in “OBCT”. Solche Spielereien zeigen, was die Sleaford Mods bei allem berechtigten Frust ihren nicht weniger wütenden Gegnern voraushaben: Humor. Und im Gegensatz zu den Entscheidern wissen sie, wie vermutlich nicht nur Großbritannien nach dem Brexit aussehen wird: Worse!.
Daniel Welsch 8/12
Haha! Wie K.I.Z., die ihre Fans mit dem schlechtem Fake-“Urlaub fürs Gehirn”-Leak getrollt haben. Moment mal. Das ist ja im Soundcheck – also ist das das echte Album. Puh. Natürlich sind die Sleaford Mods nicht für ihre wahnsinnig gut produzierten Beats bekannt, im Gegenteil. Es gehört ja zum Fickt-euch-Image des Elektro-Post-Punk-Duos, dass Andrew Fearn eigentlich nur die Leertaste seines Laptops für Start und Stop bedient und sich einen reinsäuft, während Working-Class-Slampoet Jason Williamson verbittert alles angreift, was nicht in seine Lebensrealität passt. Macht er ja auch zu Recht, und zuletzt auf “English Tapas” besonders clever mit Smashern wie “B.H.S.” – purer Bonzen-Kapitalismuskritik, angetrieben allein von Wut und motorisch-minimalistischen Drum-Computern. Das hatte Stil. “Eton Alive” dagegen klingt billig: Melodien bestehend aus Computer-Startgeräuschen (“When You Come Up To Me”) und alten Handy-Klingeltönen (“Discourse Dif” ) über Loops aus der Dose. Dazu offensichtlich im One-Take eingesprochene Parts von Williamson, stimmlich oft komplett daneben, mit kruden Backings versehen (“Negative Script”) und von miserabler Klangqualität (“Firewall Mix 3”). Er läuft mit seinen Sätzen ständig ins Leere, bricht Zeilen unerwartet ab, schert sich gar nicht um Flow – besonders auf “Substraction”, wo man wegen seines wirren Freestyles glatt Sorgen um seinen Geisteszustand bekommen kann. Das kann man jetzt alles als Stilmittel deuten, klar. Aber auch das ist irgendwie billig.
Gerrit Köppl 4/12
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