Sleater-Kinney
Little Rope
2022 erhält Carrie Brownstein einen Anruf von Bandkollegin Corine Tucker. Diese ist gleichzeitig ihr Notfallkontakt und muss ihr die schlimmstmögliche Nachricht überbringen: Während eines Urlaubs in Italien sind Brownsteins Mutter und Stiefvater mit dem Auto tödlich verunglückt. Aus den Bruchstücken dieser Tragödie setzt sich ein Teil der Kulisse zusammen, vor der “Little Rope” entstanden ist.
Auf dem Nachfolger von “Path Of Wellness” (2021) schwört einen die frühere Riot-Grrrl-Band aus Olympia auf einen Weg ein, der mit Verlust- und Aggressionsbewältigung sowie Trennungsschmerz gepflastert ist. Eine Odyssee, der man als Hörer:in über zehn Songs hinweg beiwohnt. Einzige Voraussetzung: Man muss sich auf den langwierigen Prozess zwischen Trauer und Emanzipation einlassen, dessen Takt das US-Duo mal behutsam, mal mit der stampfend-pochenden Energie seines Schlagzeugs vorgibt.
Mit den Worten “Hell don’t have no worries/ Hell don’t have no past/ Hell is just a signpost when you take a certain path/ Hell needs no invitation/ Hell don’t make no fuss/ Hell is desperation” setzt Gitarristin und Sängerin Brownstein nach der Hälfte des Openers “Hell” zur Alternative-Rock-Explosion samt Bleached-Charme an und entfacht damit die Nachwehen der Hölle menschlicher Verlusterfahrung, die sie während des Aufnahmeprozesses durchlebt hat.
Von den zahlreichen Abschieden und Neuanfängen, die einem das Leben ohne Vorankündigung beschert, erzählen auch das instrumental zurückgenommene “Say It Like You Mean It” und “Untidy Creature”. “Could you love me if I was broken?”, fragt letzteres und öffnet damit die Schleusen für all die sensiblen Zwischentöne und verdrängten Gefühle, die ihren Platz inmitten quälender Ungewissheit, Dringlichkeit und Unruhe suchen und ihn letztendlich in der Wucht scheppernder Gitarrenriffs und kraftvoller Gesangsausbrüche finden.
Anstatt sich in Pathos und Selbstmitleids-Bekundungen zu verlieren, setzen Sleater-Kinney ihre Stimmen wie in “Dress Yourself” als Beth Ditto-eske Kraftinstrumente ein und verarbeiten ihre stellenweise reduzierten Indie-Punk-Klänge zu einer perfekten Soundcollage. Bevorzugtes Mantra: Selbstliebe in Zeiten zunehmender Selbstinszenierung, Loslassen statt Eskapismus – oder wie es im dreckig gegniedelten “Crusader” heißt: “Forget the pain and let the drum bang out!”
Das steckt drin: Bleached, The Donnas, Gossip
weitere Platten
Path Of Wellness
VÖ: 11.06.2021
The Center Won't Hold
VÖ: 16.08.2019
Live In Paris
VÖ: 27.01.2017
No Cities To Love
VÖ: 20.01.2015
Start Together (Boxset)
VÖ: 24.10.2014
The Woods
VÖ: 24.05.2005
One Beat
VÖ: 20.08.2002
All Hands On The Bad One
VÖ: 02.05.2000
The Hot Rock
VÖ: 19.02.1999
Dig Me Out
VÖ: 08.04.1997
Call The Doctor
VÖ: 25.03.1996
Sleater-Kinney
VÖ: 30.11.1995