Viva-la-vida-Pop gibt es auf “Viv” natürlich nicht zu hören, und die Band um Ceremony-Frontmann Ross Farrar und -Schlagzeuger Jake Casarotti driftet auch nicht in Richtung hallenden Synthie-Pop ab, wie es Ceremony, vom Hardcore-Punk kommend, über die Jahre und Alben nach und nach getan haben. Der Titel des zweiten Spice-Albums ist nach einem Projekt von Violinistin Victoria Skudlarek und Bassist Cody Sullivan benannt, er soll außerdem auf weit interpretierbare Vorstellungen von Lebendigkeit anspielen – und davon lassen sich ein paar finden unter den zehn neuen Songs. “Any Day Now” etwa sprudelt mit euphorischen Gitarrenriffs, polterndem Schlagzeug und einem eingängigen Refrain vor Energie bald über. Am anderen Ende der Skala ist die Vitalität aus dem finalen, etwa vierminütigen Song “Climbing Down The Ladder” fast komplett entwichen: “Im climbing down the ladder again/ And again, and again”, singt Farrar unausweichlich mit schwerer Stimme. Der Song handelt wahrscheinlich von (Drogen-)Abhängigkeit und zieht einen wunderbar herunter in die Leidensspirale, die erst kurz vor Ende durch laut anschwellende, hallende Editors-Gitarren von einem Lichtschimmer durchbrochen wird. Die beiden Gitarristen, Ian Simpson und Michael Bingham, setzen immer wieder derartige Akzente, lassen ihre Instrumente aber auch mit dem oft hallenden Schlagzeug-Bass-Post-Punk-Rhythmus verschmelzen. “Threnody” fällt mit hoher Geschwindigkeit, Punk-Ansatz und weniger als zwei Minuten etwas aus dem Rahmen. Ebenso das folgende “Melody Drive”, das sich ausschließlich aus Violine, Bass und Field Recordings aus Geräuschen und Gerede zusammensetzt, die schnell mehr Vorder- als Hintergrund sind. Weitere solcher Field Recordings baut das kalifornische Sextett nur noch selten und dezent ein, etwa vor dem letzten Refrain von “Any Day Now”. Auch Skudlarek spielt selten die erste Geige, sondern ist ein weiterer Baustein im engmaschigen Sound von Spice. Mit ihrem melancholischen Spiel kann sie einen Song wie “Ashes In The Birdbath” aber auch in
andere, emotionale Sphären tragen. Genau das ist die Stärke von Spice, auf Viv noch mehr als auf dem guten, nach der Band betitelten Debüt von 2020: Ihre Songs können hallend monoton klingen und mit dem nächsten Takt vor Melodien sprühen, sie sind introvertierte Hymnen mit Schrammen und Kratzern, eine Gute-Laune-Dosis für Berufsmelancholiker aus Leidenschaft. Oder wie Farrar passenderweise in “Vivid” singt: My pain is yours.
weitere Platten
Spice
VÖ: 17.07.2020