Jason Pierce ist ein offenes Buch. Seine Trauer, seine Drogengeschichten, seine verzweifelte Sinnsuche – alles dokumentiert auf den Alben unter dem Namen Spiritualized. Das war niemals eine Band, das war immer Pierce pur. Er veröffentlichte gigantische, romantische, herzzerreißende Platten, deren Wucht und Wahrheit einem wahnsinnig zu Herzen gehen konnten. Dann erkrankte Pierce schwer: Nach einer Lungenentzündung schwebte der ungesund lebende dünne Mann in Lebensgefahr. Plötzlich war Pierce zu schwach für eine weitere Platte der großen Gesten. Die große Sinnsuche schien vorbei; mit “A & E” erschien ein reduziertes, fades Album, das vom Kranksein und Herumliegen handelte, denn wie gesagt: Pierce ist ein offenes Buch. Der Gipfel der Einöde dann auf Festivals: Spiritualized unplugged. In etwa so sinnvoll wie Deichkind ohne Kostüme, denn die Songs von Pierce brauchen das Dräuen, die Chöre, die Pauken, die Streicher. Sonst bleiben nur noch abscheulich selbstmitleidige Blues- und Gospel-Adaptionen übrig. Wichtig also, dass der Mann hinter Spiritualized nun wieder gesund ist. Die Kraft reichte, um für “Sweet Heart, Sweet Light” wieder das große Theater aufzufahren: Die Liste der beteiligten Musiker ist so lang wie die Crew der “Herr der Ringe”-Verfilmungen. Nach einem Streicher-Intro wie aus einem Disney-Film knallt uns Pierce mit “Hey Jane” gleich zu Beginn seinen besten Song seit einigen Jahren um die Ohren: Dreieinhalb Minuten knackiger RocknRoll, bevor das Stück stehen bleibt, die Richtung ändert und ganz anders noch einmal von vorne anfängt. Velvet Underground-Freunde werden das lieben. Wer Spiritualized zuletzt abgeschrieben hatte, ist jetzt wieder ganz bei der Sache: Britpop-Lieder wie “Too Late” oder “Little Girl” sind so anrührend wie die spirituellen Hymnen aus der besten Phase von The Verve, nur dass sie bessere Texte haben. Pierce weiß nämlich wirklich, was Schmerzen bedeuten – und das nicht nur, weil Richard Ashcroft ihm Mitte der 90er mal die Freundin ausgespannt hat. Doch “Sweet Heart, Sweet Light” ist nicht nur im Schmalz grandios. “You Get What You Deserve” klingt wie ein trotziges Kinderlied, das sich auf dem “White Album” der Beatles verirrt hat, hinter dem Krach von “Headin For The Top Now” schimmert eine süßliche Melodie, der Psychedelic-Gospel von “I Am What I Am” verführt dazu, die alten Spacemen-3-Platten noch einmal herauszukramen. Und wenn Pierces elfjährige Tochter Poppy das Intro zum finalen “So Long You Pretty Things” singt, sollte man sich seiner Tränen nicht schämen.
weitere Platten
Everything Was Beautiful
VÖ: 22.04.2022
And Nothing Hurt
VÖ: 07.09.2018
Songs In A & E
VÖ: 27.06.2008
Amazing Grace
VÖ: 15.09.2003
Let It Come Down
VÖ: 01.10.2001
Ladies And Gentlemen We Are Floating In Space
VÖ: 26.05.1997