Schon vergangenes Jahr, als St. Vincent im Vorprogramm von Sufjan Stevens nach Deutschland kam und noch niemand wusste, dass ihr Debütalbum “Marry Me” heißen würde, hätte man sie vom Fleck weg geheiratet. Allein stand sie auf der Bühne, spielte Gitarre wie ein Holzfäller, tat geheimniskrämerisch und stampfte mit dem rechten Fuß notdürftig ein paar Beats aus dem Boden. “Marry Me” allerdings hat nichts mehr mit solchem Minimalismus zu tun. Es wurde mit Waldhorn, Klarinette, Triangel und Streicherquartett aufgemotzt, fängt häufig beim Folksong an, streckt sich aber auch zwischen Kammermusik, Vaudeville und vorsichtiger Jazz-Annäherung, ohne dass es jemals auf irgendetwas festzunageln wäre. Zum Auftakt kriegt man von “Now Now” folgerichtig alles vorgerechnet, was St. Vincent nicht ist; erst patzig, dann versöhnlich gesungen und mit einem quengelnden Neil-Young-Gedächtnissolo unterstrichen, das die persönlichen Aufräumarbeiten, um die es hier eigentlich gehen soll, über den Haufen wirft. “While Jesus is saving/ I’m spending all my days away”, singt St. Vincent einmal – sie wurde als fünftes von neun Kindern in ein Religionspotpourri aus Christen-, Juden- und Freidenkertum hineingeboren und versucht auf “Marry Me”, dem Ganzen mit bissigen, ironischen, verletzlichen Texten einen Sinn abzutrotzen. Entscheidend bleibt trotzdem, wie sich diese Platte ganz wunderbar weltvergessen mit sich beschäftigt. Sie streift durch 80 Jahre Musikgeschichte und klingt noch nicht mal wie geklaut.
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