Das hat vor gut 15 Jahren schon einmal jemand versucht, nämlich die Boo Radleys. Markenzeichen der Band waren zuckersüße Melodien, die auf jeder Platte in immer neue Irrgärten voll genial-bescheuerter Ideen gesperrt wurden. Da gab es beispielweise Shoegazing-Lärmwände gekoppelt mit Dub-Reggae und 60s-Melodien oder Blasorchester-Popsongs mit Big-Beats unterlegt. In ihrer Hochphase wurde schließlich einfach jedes Instrument eingebaut, das aufzutreiben war.
Die traurige Lose-Lose-Situation für Songs und Hörer endete damit, dass niemand mehr aus den vertrackten Sound-Labyrinthen herausfand. Wahrscheinlich liegen heute noch Skelette von tapferen Musikabenteurern in den Windungen von Cmon Kids, dem wohl undurchsichtigsten Werk der Band. Der routinierte Indiefan kann darüber im Jahre 2010 nur herzhaft lachen, denn was damals überforderte, gehört mittlerweile zum Standard. So frühstücken The Bewitched Hands die Evolution der Radleys mal eben auf ihrem Debütalbum ab und legen gleich noch die musikalischen Biografien von David Bowie und den Beach Boys nach. Birds & Drums läuft über vor verrückten Einfällen, verschrobenen, aber nachvollziehbaren Wendungen und unglaublichen, aber stets funktionierenden Montagen; das anfängliche Kopfschütteln des Hörers geht nahtlos in Kopfnicken über. Schon Happy With You wäre bei anderen Bands mit seinen sich überschlagenden Sturzgesängen als Finale furioso ans Ende der Platte gerückt worden.
Hier ist es lediglich der richtungsbestimmende Auftakt zu einer Tour de Force durch ein Lalaland aus Rock, Indie und Weihnachtsmusical. Immer wieder werden Zitate aus der Popgeschichte aufgegriffen, durcheinandergewirbelt und durch ebenso ungewöhnliche wie mitreißende Harmoniefolgen miteinander verknüpft. So vielschichtig Birds & Drums auch angelegt ist, die Franzosen von heute haben dazugelernt und verleihen ihren Songs viel mehr sinnstiftende Kohärenz als die Briten in den 90ern. Bemerkenswert auch, wie schnell alles auf den Punkt gebracht wird. In der Songsequenz Cold, Work und Hard To Cry gelingt es der Band zum Beispiel, einen Indiepunk-Ausflipper rauszuhauen, einen fast perfekten Popsong zu schreiben und eine ausufernd-vielstimmige, psychedelische Sinfonie aufzuführen – das Ganze in unter zehn Minuten. Effizienz gehört ja auch längst zum Standard, klang bisher aber selten so brillant wie hier.
Anspieltipps: Cold | Hard To Cry | Sea
weitere Platten
Vampiric Way
VÖ: 16.11.2012