Platten, von denen kolportiert wird, sie benötigten “ein paar Hördurchläufe, um verstanden zu werden”, gibt es immer wieder mal. Flugs springt einem da die Mars Volta-Schublade gegen die heillos verzwirbelten Synapsen. Die fünf Blutsbrüder aus Seattle sind – und bleiben – so etwas wie die Engführung selbiger Kategorie. Sie zelebrieren “Trash Flavored Trash”, den Müll einer Gesellschaft, der nichts mehr heilig und in der alles haltlos scheint. Geboten werden: Zwei Frontleute, die hysterisch spucken, kratzen, treten, proklamieren. Ein Gitarrist, der wüsteste Kakophonien gegen die nächstbeste Brandmauer schleudert und schaut, was kleben bleibt. Eine Rhythmusgruppe schließlich, deren exakt abgezirkelte Harakiri-Spasmen sich ohne Hochschul-Diplom in angewandter Jazzistik nicht ansatzweise entschlüsseln lassen. So etwas polarisiert, muss polarisieren. Das Tolle, Unvergleichliche an dieser Musik ist dabei ihre lyrische Tiefe, die dem auf den ersten Blick nur schweißtreibenden Gebolze eine faszinierende zweite, ja dritte Ebene verleiht. Und in eben die kann man sich verlieben. Sich reiben an diesen wirren, schillernden Bildern, Realitätsfragmenten, Wortkaskaden und absurden Trips, die das Gros dessen, was heute unter Metalcore subsumiert (und abgefeiert) wird, meilenweit hinter sich lässt. Die politischer, subversiver sind als konkrete Anklagen je sein könnten. Sprachkunst ist das, was Stimmwunder Johnny Whitney und Jordan Blilie in ihren Songs aneinander vorbei und aufeinander los hetzen: Da werden Autobahnen um Körper gewickelt , ist die Rede von amputierten Horizonten. Von Pfauen, die entweder Biester oder Priester seien – und keiner weiß das so genau. “There’s a girl behind chicken wire coughing up ghosts. There’s a housewife in a cage that vacuums all day.” Alles klar? Nein? Viel Spaß beim Anfassen und Ausgraben. Dabei ist “Crimes” – ihr inzwischen vierter Longplayer und der Nachfolger des gleichsam grandios-zerdepperten “Burn Piano Island, Burn” – fast so etwas wie die Blood Brothers-Definition von Pop. Exakt: Eingängiger werden diese dem textlichen Surrealismus huldigenden, krumme Rhythmen ausspuckenden Wunderknaben nicht. Das bitterböse “Love Rhymes With Hideous Car Wreck” könnte ähnlich auch von Boss Hog stammen mit seinen pumpenden Bässen und Twang-Gitarren. Zumindest, bis der Tranquilizer nach zwei Minuten aus ist. Durch “Rats And Rats And Rats For Candy” schunkelt ein luftiges Gitarren-Picking. Das verwunschene “Live At The Apocalypse Cabaret” und “Trash Flavored Trash” haben so was wie Refrains im Schlepptau. Der Titeltrack erweist sich gar als durchsichtige, mit fetten Riffs ausgepolsterte Semi-Ballade. Überall locken, lauern Melodien und Ideen, die andere Bands zu kompletten Songs auswalzten. Womit wir beim gloriosen “Teen Heat” angelangt wären, das einer US-Musiklandschaft, die immerzu von “commitment” salbadert und doch nur wiederkäut, frontal in die Dollar-verseuchte Fresse tritt. Punk-Spirit trifft auf avantgardistischen Hirnfick, pure, blutrote Wut auf siedende Gehirnzellen kurz vor dem finalen Overload. “Thanks for the fucked-up future. We can learn to love misery”, keucht Whitney. Nix für Weicheier, definitiv. Aber den Rest, den kriegen sie. Können sie kriegen. Sofern der dran bleibt.
weitere Platten
Young Machetes
VÖ: 17.11.2006
Burn Piano Island, Burn
VÖ: 17.03.2003
March On Electric Children
VÖ: 25.02.2002
This Adultery Is Ripe
VÖ: 28.08.2000