Schon vor einem halben Jahr im Vereinten Königreich veröffentlicht und durch Mundpropaganda und es-gut-mit-einem-meinende Freunde auch hierzulande für etwas Furore im Wasserglas sorgend, erscheint das Debütalbum von The Coral nun auch endlich in diesen Breiten. Zu Recht, möchte man betonen, denn so was hat man lang nicht gehört: Kein bisschen berührungsängstlich und mit einer unbeschwerten Vielseitigkeit, die zur Zeit wenig Bands an den Tag legen, switchen sich die sechs Briten ohne Bedenken durch Stile, Genres und Kulturen. The Coral haben definitiv ein Faible für urbanen Blues, für Schmelztiegel-Sounds, für Metropolen-Moritaten – was um so mehr überrascht, wenn man weiß, dass James, Ian, Lee, Paul, Nick und Bill aus Hoylake, irgendwo an der britischen Westküste, stammen. Das Wissen, die Verschrobenheit, das musikalische Augenzwinkern, bei dem die Grenzen zwischen Hommage und Persiflage fließend ineinander übergehen, erinnert bisweilen an Musikalchemisten wie Ween oder They Might Be Giants – wobei auffällt, dass The Coral für ihr Alter ganz schön gewitzt, gewandt und gebildet agieren: Denn normalerweise stecken hinter solch einem Sound Nerds Mitte 30, die sich ihr Leben lang durch ihre meterlange Plattensammlung gefressen haben. Man stelle sich vor, Firewater und die Strokes hielten den Gedenkgottesdienst bei Jim Morrisons Beerdigung, und das mit Orgel, Sixties-Harmoniesätzen und dem vollen Hippie-Mystik-Programm. Denn dass das Schaffen der Doors im Herzen der Koralle einen besonderen Stellenwert einnimmt, ist eine Erkenntnis, für die man lediglich zwei intakte Ohren braucht. Hier gibt es melancholischen Moll-Rock, der sich mal nach dem Soundtrack des abgetakelten Jahrmarkts um die Ecke anhört, mal an eine rumänische Hochzeit erinnert, auf der sich die ziemlich besoffene Polka-Band immer mehr in Ekstase spielt, der links den Delta-Blues aus den tiefsten Sümpfen des Mississippi schöpft und rechts mit Dub-Elementen und Off-Beats glänzt. Wobei trotz aller Stilvielfalt feststeht: The Coral sind in eine Rockband, da gibt es gar keine Zweifel. Siehe etwa das fantastische I Remember When, das sich spannend aufbaut, bis es nach 50 Sekunden losrockt wie vor drei Jahren Moving von Supergrass, so dass man ums Verrecken nicht mehr still stehen kann.
Die Füße fangen an zu zucken, der Kopf wippt im Takt. Natürlich verrennt man sich noch im jugendlichen Ungestüm: Die Drogen-Hommage etwa Skeleton Key gerät recht plump und nervt schnell mit ihrer Überdrehtheit. Und die Texte zeugen zwar von skurrilem englischem Humor – etwa wenn sie im Shanty-artigen Album-Intro ankündigen, die Segel zu setzen und gen spanische Küste aufzubrechen -, verfallen aber ansonsten gerne mal in nebulöse Nichtigkeiten voll mystischen Irrsinns. Dennoch: Diese Platte hat Atmosphäre und Stil und kommt stets auf den Punkt: Elf Songs, von denen alles Unnötige entfernt wurde und die sich aufs Wesentliche konzentrieren. Selbst inklusive der Pause vor dem Hidden Track hätte das Album früher locker auf die A-Seite einer 90er-Kassette gepasst. Die Konkurrenz hat keine Chance – so hypt der NME schon wieder erwartungsfroh Hahnenkämpfe herbei. Eine Fehleinschätzung: Denn das Feld, auf dem The Coral sich bewegen, bietet so viel Platz, dass kein Gegner in Sicht ist.
weitere Platten
Holy Joe's Coral Island Medicine Show
VÖ: 08.09.2023
Sea Of Mirrors
VÖ: 08.09.2023
Coral Island
VÖ: 30.04.2021
Move Through The Dawn
VÖ: 17.08.2018
Distance Inbetween
VÖ: 04.03.2016
The Curse Of Love
VÖ: 28.11.2014
Butterfly House
VÖ: 30.07.2010
Roots & Echoes
VÖ: 31.08.2007
The Invisible Invasion
VÖ: 23.05.2005
Nightfreak And The Sons Of Becker
VÖ: 26.01.2004
Magic & Medicine
VÖ: 28.07.2003