Die Eindrücke, die das selbstbetitelte Debüt von The Coral hinterlassen hat, sind noch absolut präsent. Erst ein gutes halbes Jahr ist schließlich vergangen, seit das Album in Deutschland offiziell veröffentlicht wurde, und man erinnert sich nur zu gut: Ja, man hatte das Gefühl, jemanden Besonderes kennen gelernt zu haben, dem man sofort seine Zuneigung schenken wollte, ohne erst lange abzuwägen. “The Coral” war in seiner Vielfalt, seinem überbordenden Ideenreichtum und seiner leicht bizarren Ausstrahlung einfach zu mitreißend und verlockend, als dass man zweimal überlegt hätte. Ob sich die spontane Begeisterung, mit der das Sextett aus Hoylake an der englischen Westküste selbst von sonst eher distanzierten Gemütern überschüttet wurde, aufrecht erhalten lässt, das muss nun “Magic & Medicine” zeigen, das ebenfalls von Ian Broudie produzierte zweite Album der Band. Der bereits seit einer Weile kursierende Vorbote, die Single “Don’t Think You’re The First” deutete mit ihrem verzögert zündenden Hit-Potenzial zwar schon an, dass es mit The Coral etwas Längeres werden könnte, aber man weiß schließlich nie. Und tatsächlich sind die ersten Annäherungsversuche an “Magic & Medicine” erst mal von ein paar kleinen Unsicherheiten geprägt. Die Moritaten-hafte Moll-Stimmung, die bereits einen großen Teil des Debüts überzog, ist hier noch gegenwärtiger – sie lässt das Album einheitlicher wirken, als hätten James Skelly, Ian Skelly, Nick Power, Bill Ryder-Jones, Lee Southall und Paul Duffy ihre Konzentration gebündelt, anstatt der Inspiration einfach freien Lauf zu lassen. Viele der Songs wirken zuerst fast ein wenig zu sehr im Traditionellen verwurzelt, wie beispielweise die simpel arrangierte Folk-Ballade “Liezah”, doch nach mehrmaligem Hören verfestigt sich der Eindruck eines Songs, der schlicht hinreißend ist – hinreißender als alles, was die versammelte Garde der US-Singer/Songwriter/Alt.Country-Naseweise bisher zustande gebracht hat. Das countryeske “Gypsy Market Blues” bringt dann das ebenfalls bereits bekannte Augenzwinkern ins Spiel – hört man da nicht eindeutige Anspielungen auf “These Boots Are Made For Walking”, den alten Hazlewood/Sinatra-Gassenhauer? Und es geht weiter: Als hätte man die Doors – nach wie vor beliebte Vergleichsgröße im Coral-Kosmos – vom Morrison-Schmock befreit, tönt “Secret Kiss”, eine psychedelische Ballade im Stile von “Don’t Think You’re The First”, die mit satter Orgel und entrückten “so far away”-Chören glänzt. Wie gerne sich The Coral selbst den Wind aus den Segeln nehmen, zeigt “Eskimo Lament”, wo dem getragen-traurigen Gesang Bläser entgegengesetzt werden, die an eine besoffene Stadtfest-Kapelle beim Zapfenstreich erinnern. Der Eindruck, dass diese Sechs manchmal fast schon zu abgebrüht und schlaufuchsig zu Werke gehen, lässt sich streckenweise allerdings nicht ganz von der Hand weisen – so versprüht “Milkwood Blues” mit seiner vertrackten Struktur, wenig nachvollziehbaren Breaks und Tempowechseln einen etwas unangenehm verkopften, unnötig muckerhaften Eindruck. Da das allerdings der einzige Ausfall ist, darf man durchaus hoffen, dass diese Tendenz in Zukunft nicht weiter ausgebaut wird und die Band sich stattdessen ihr definitiv vorhandenes Faible für unkonventionelle Pop-Songs wie “Talkin’ Gypsy Market Blues” erhält – jener hat nämlich zweifellos das Zeug dazu, das phantastische “Dreaming Of You” vom Debüt abzulösen. Und insgesamt? Umgibt sich die Band vorerst weiter mit einer Aura freundlicher Obskurität – und bleibt damit eine sehr reizvolle Angelegenheit.
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dto.
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