The Hirsch Effekt
Urian
The Hirsch Effekt, die beste deutsche Math-Prog-Rock-Band, bitten energisch zum Tanz, lassen aber auch Platz für Verschnaufpausen.
Deutsche Sprache, schwere Sprache. Zumindest wenn es darum geht, sie in Songtexten einzusetzen. Denn oft sorgt das dichtende und denkende Erbe für ordentlich Pathos, manchmal auch zu viel. The Hirsch Effekt nehmen das nicht nur in Kauf, sondern stützen sich voll auf lyrische, metaphorische, verklausulierte Texte direkt aus dem Deutschunterricht. Das harmoniert auch auf ihrem sechsten Album enorm gut mit dem gelungenen Mix aus Mathcore, Prog-Metal und Folk-Einsprengseln, Stichwort Artcore, obwohl die wilden Rhythmen sich mittlerweile mit klassischeren Strukturen die Waage halten.
Otus etwa klingt nach einem Tool-Tribute, der “Urian” ist dann wieder kontrolliert-chaotischer Metalcore, “Stegodon” dafür progressiver Pop fürs Alternative-Radio. Besonders spannend ist allerdings, dass The Hirsch Effekt ihre Platte mit zwei Quasi-Akustiksongs einrahmen. Das ist ungewöhnlich für eine derart komplexe und krachige Band, die zwar schon in der Vergangenheit am Anfang und am Ende ihrer Alben experimenteller, aber nie so zurückhaltend klangen. Damit zeigen The Hirsch Effekt, dass sie auch nach fast 15 Jahren noch Überraschungen parat haben. Florian Zandt
Die Bewunderung ihrer Peer-Group wird The Hirsch Effekt weiter sicher sein, alle anderen gehen woanders tanzen.
The Hirsch Effekt sind keine Band, die zur Identifikation taugt. Für die meisten dürfte es unerreichbar bleiben, was sie auf ihren Instrumenten vollführen. Der Groschen “Das könnte ich auch” fällt bei den Hannoveranern jedenfalls nie. Wenn aber die eigene Expertise dazu führt, dass jede gesungene Note nach Gesangsunterricht klingt und in jeder Zeile Text die gesamte deutsche Literaturgeschichte mitschwingt, dann schließt man von vornherein mehr Leute aus als ein – was bereits beim Titel “Urian” losgeht, der auf Goethes Faust referenziert.
So gilt für dieses Album, was für so vieles mit dem Etikett progressiv gilt: Es leidet an fehlender emotionaler Anschlussfähigkeit. Selbst die Akustikstücke zu Beginn und am Ende sind durch den gespreizten Gesang das Gegenteil einer Einladung. Sie trennen das Publikum in jene, die Taktartenzählen für ein Erlebnis halten, und jene, die mit dem Konzept Virtuosität generell fremdeln. Will sagen: The Hirsch Effekt mögen in ihrem Genre die besten sein, aber sie schaffen es mit “Urian” nicht, Leute außerhalb ihrer Blase anzusprechen. Was schade ist, denn auf “Eskapist” und “Kollaps” hatten The Hirsch Effekt etwas zu sagen, das alle angeht. Florian Schneider
Das steckt drin: The Dillinger Escape Plan, The Intersphere, Tool
weitere Platten
Solitaer (EP)
VÖ: 26.08.2022
Gregær (EP)
VÖ: 26.03.2021
Kollaps
VÖ: 08.05.2020
Eskapist
VÖ: 18.08.2017
Holon: Agnosie
VÖ: 24.04.2015
Holon: Anamnesis
VÖ: 31.08.2012
Holon: Hiberno
VÖ: 19.03.2010